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AutorenbildSilvan Brun

«Da wusste ich es. Ich wollte der Mann mit der großen weißen Mütze sein und rumschreien.»


Tresch, der Mann, der Chandeliers abstauben schlimmer fand, als in der Küche zu schwitzen (Bild: Juri Gottschall)
Tresch, der Mann, der Chandeliers abstauben schlimmer fand, als in der Küche zu schwitzen (Bild: Juri Gottschall)

Unsere Freunde vom "Splendido Magazin", Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall, haben den Olivenöl-Chef Philipp Tresch, seines Zeichens weltbester Olivenölkoch 2015, im Rahmen der Neulancierung ihrer Website in Sempach Station in den Räumen von evoo interviewt. Das Gespräch bei San Daniele-Schinken, Wildschweinsalami, Pecorino, Burrata, Altamura-Brot sowie reichlich Olivenöl und natürlich viel Wein dauerte lange. Sehr lange. Kein Wunder, Tresch erzählte seine Lebensgeschichte. Und, wenn er dies tut, hängen alle an seinen Lippen. Es sind nicht nur die vielen eindrücklichen Erlebnisse, die begeistern, sondern vor allem wie Tresch diese mit seinem unvergleichlichen Erzählstil wiedergibt, als wäre er auch Geschichtenerzähler. Wenn die Gesprächspartner gegenüber nun auch noch ausgewiesene Food-Journalisten sind, kommt es eben zu dieser einzigartigen Tavolata. Reden, reden, reden, essen und trinken.


Mercedes und Juri, die mit Treschs Erzählungen glatt seine Biographie hätten schreiben können, haben alles fein säuberlich komprimiert und wunderbar zusammengefasst, lesen Sie selbst:


 

«Ich wollte der schreiende Mann mit der großen weißen Mütze sein.»

Der Schweizer Koch Philipp Tresch über das Kochen, das Leben und seine Liebe zur italienischen Küche.


Der Schweizer Koch Philipp Tresch hat viel zu erzählen. Der Urenkel einer italienischen Schmugglerin ist in der Schweiz geboren, in London aufgewachsen und lebte und arbeitete auf den Philippinen, in Russland, im Keller von Alpenchalets und in Kajüten privater Luxusyachten auf dem Mittelmeer. Heute kocht er wieder in einem kleinen gehobenen Restaurant in Luzern und schmiedet Pläne für einen eigenen Laden.  Ein Gespräch über das Leben als Nomade, Einkaufen ohne Budgetbeschränkung, den Wandel des Kochberufs und die Genialität der italienischen Küche.


Philipp, woher eigentlich deine Leidenschaft für die Küche?

Mir war früh klar, dass gutes Essen ein Wert an sich ist. Wir sind in dritter Generation Italiener. Meine Urgroßmutter schmuggelte Lebensmittel, Kaffee und Zigaretten aus Bergamo in die Schweiz. Die italienische Küchentradition gab sie an meine Großmutter weiter. Sie kochte deftige Eintöpfe, Polenta und im Kamin räucherte sie ihre eigenen Würste und Speck. Ich wuchs in London auf, wo meine Eltern arbeiteten. Das Essen in London war in den 70er-Jahren grauenhaft, schon der Kaffee eine einzige Gülle und bei meinen Freunden zuhause mochte ich erst gar nichts anrühren. Nur zuhause gab es gutes Essen. Und die Ferien bei meiner Großmutter waren kulinarische Ferien.


Erinnerst du dich an den Schlüsselmoment deiner Entscheidung, Koch zu werden?

Hin und wieder gingen wir in London sehr fein essen – die einzige Möglichkeit an akzeptables Essen zu kommen. Im Dorchester Hotel durfte ich die Küche besuchen. Wie es dort abging! Unter dem Grill loderten die Flammen, es roch nach Knoblauch und Kräutern, die Köche schmissen riesige Fleischstücke auf den Rost und schrien sich an. Da wusste ich es. Ich wollte der Mann mit der großen weißen Mütze sein und rumschreien. In der Hitze. Über dem Feuer.



«Im Dorchester Hotel durfte ich als Kind die Küche besuchen. Wie es dort abging! Da wusste ich es. Ich wollte der Mann mit der großen weißen Mütze sein und rumschreien. In der Hitze. Über dem Feuer.»



Mit 18 hast du im Oberengadin in der Schweiz dann endlich deine Kochlehre beginnen können.

Ich wollte die Ausbildung natürlich gleich abbrechen, als ich gemerkt habe, was Kochen überhaupt heißt: Schwitzen, Pfannen rumschleppen. Wir haben noch auf den alten Kupferpfannen gelernt, die waren verdammt schwer, da warst du nur am Buckeln. Der Holzkohlegrill hatte was-weiß-ich-wieviel Grad, man bekam Blasen auf den Lippen von der Hitze. Im zweiten Lehrjahr wollte ich zum Kellner umschulen. Wie die immer so Schnickschnack in die Küche gekommen und durch den Gastraum spaziert sind und obendrauf noch das große Trinkgeld gemacht haben, da war ich neidisch. Immer am Labern, nie am Arbeiten, so kam mir deren Beruf vor. Ich bin doch nicht blöd, dachte ich, ich mache jetzt auch Kellner.


Und?

Der Lehrmeister erlaubte mir sogar, für drei Monate aus der Küche in den Service zu gehen. Also bin ich losgezogen mit Hemd, Krawatte und glänzenden Schuhen und fand es herrlich, den Küchenchef von der anderen Seite aus zu drangsalieren: „Tisch 44, toute-de-suite s’il vous plaît!“ Aber ich habe schnell gemerkt, dass das nur die eine Seite des Kellnerns ist. Die andere ist Silber polieren, Gläser polieren, Chandeliers abstauben, die riesigen Säle staubsaugen, Lingerie, Tischtücher, Servietten – bald fand ich das schlimmer als das Schwitzen in der Küche. Und bin zurückgekehrt. Mit der Erkenntnis: Ich muss da durch, woanders wird es auch nicht einfacher. Im Nachhinein bin ich überzeugt davon, dass mir das raue Klima in der Küche sogar gut getan hat.


Inwiefern?

Etwas trotz aller Widerstände durchzuziehen formt den Charakter. Je härter die Schule, desto stärker gehst du daraus hervor. Du lernst dich durchzubeißen. Und das begleitet dich durchs ganze Leben. Ohne diese Fähigkeit kommt man nicht gut durch. Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen reifen kann, wenn er vor Schwierigkeiten wegläuft. Aber heute werden harte Arbeitsumfelder ja nicht mehr geduldet. Alle sind so empfindlich geworden. Dabei ist Leid auch mal wichtig. Dein Chef ist ein Arschloch? Steh drüber. Zieh dein Ding trotzdem durch. Leid macht stark.



Für Tresch beginnen gute Gespräche mit gutem Essen. (Bild: Juri Gottschall)
Für Tresch beginnen gute Gespräche mit gutem Essen. (Bild: Juri Gottschall)


«Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen reifen kann, wenn er vor Schwierigkeiten wegläuft. Aber heute werden harte Arbeitsumfelder ja nicht mehr geduldet. Alle sind so empfindlich geworden. Dabei ist Leid auch mal wichtig.»



Empfindest du die jungen Kollegen als verhätschelt?

Ich kann dir nur sagen, was ich im Restaurant beobachte. Im Frühling habe ich im Restaurant ein Spargeleis gemacht. Kombiniert mit einem Spargelsalat, die Hälfte gekocht, die Hälfte roh, serviert auf einem Schwertfischcarpaccio. Und bis ich das Spargeleis so weit hatte, dass es richtig gut war, brauchte es fünf, sechs Proben. Ein junger Koch, der mit mir am Arbeiten war, sagte: „Also Chef, du hast ja unendliche Geduld, der erste Versuch war doch schon sehr gut.“ Dass er schon mit dem ersten Versuch zufrieden ist, liegt an einer fehlenden Geschmacksgenauigkeit. Einem niedrigeren Anspruch. Das hat mit Faulheit nicht unbedingt zu tun. Sondern mit einer Schule, die es ihm nicht anders beigebracht hat. Er probiert etwas und sagt: So passt mir das. Ich probiere und sage, passt, aber geht noch besser. Eigentlich ist es noch zu süß. Zu cremig. Zu wenig Sorbet. Dafür braucht man Geduld und Hartnäckigkeit. Die man entweder gelernt hat oder nicht. In meiner Schule ging es um Perfektion. In seiner um Effizienz.


Dass man sich Zeit kaum mehr leisten kann, ist ja leider auch in anderen Berufen so.

Das ist das Eine. Das andere ist, dass sich beim Kochen neuerdings so viel auf Gadgets verlassen wird. Es fehlt mittlerweile vielen ein körperliches Gespür für das Kochen. Das Vertrauen in den Fingerdruck, in die eigene Intuition. Ich habe gerade wieder einen jungen Chef de partie erlebt, der das Siedfleisch zu früh rausgenommen hat. Weil er es nicht eingestochen hat. Er hat nur auf die Uhr geschaut. Er wusste nicht einmal, wie sich das anfühlen muss. Wie testet man, ob eine Kalbszunge genau richtig gegart ist? Man muss vorne, beim Spitz der Zunge mit Daumen und Vorzeigefinger eindrücken. Man muss sie zerdrücken können. Das sind so Sachen, die lernst du nicht, wenn du alles auf Knopfdruck im Sous-Vide-Gerät und mit Vakuumsack garst.



«Es fehlt mittlerweile vielen ein körperliches Gespür für das Kochen. Das Vertrauen in den Fingerdruck, in die eigene Intuition. Wie testet man mit den Fingern, ob eine Kalbszunge genau richtig gegart ist? Das lernst du nicht im Sous-Vide-Gerät.»



Zurück zu deiner Biografie. Du hast nach deiner Ausbildung im Palace in Gstaad angefangen, einem Fünf-Sterne-Hotel. Nah dran also schon am herumschreienden Mann mit der großen weißen Mütze.

Das Geschrei kam mir zunehmend wahnsinnig vor. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich Küchenchef von 50 Köchen werden wollte. Nach den Feiertagen, spätestens am 4. Januar war der Chef für zwei Wochen außer Gefecht gesetzt, Stimmbänder zerfetzt von der Schreierei. In der Zwischensaison habe ich als Aushilfe im Restaurant Rialto in Gstaad gekocht, ein kleines italienisches Restaurant. Das war schön. Das Essen hat mich an die Küche meiner Großmutter erinnert. Daran, dass es auch noch etwas anderes als Butter und Rahm gibt.


Damals war die französische Küche das Nonplusultra in der Hotellerie.

Ja, und da stand ich auf einmal in dieser kleinen italienischen Küche mit Italienern und Portugiesen und da wurde nichts übertrieben oder verkünstelt. Da wurden einfach gute Produkte benutzt. Olivenöl. Pasta. Risotto. Mit Pilzen. Brasato-Ravioli, wie der Schmorbraten meiner Oma. Ich habe gedacht: Das mag ich viel lieber.


Du hast im Palace gekündigt und in einem kleinen Restaurant in Luzern angefangen. Dann hat dich das Fernweh gepackt.

Ich war sehr jung, ich wollte was erleben. Und das ist ja das Schöne am Kochberuf, man kann überall arbeiten, vom Luxushotel bis zur Ölplattform. Ich wollte nur unbedingt die italienische Küche mitnehmen.


Du hast auf den Philippinen für eine Schweizer Firma gearbeitet, die italienische Enotecas unterhielt.

Das hat Spaß gemacht. Leider holte uns bald die Asienkrise ein und ich musste gehen. Last in, first out, wie man so sagt. Dann bin ich nach Moskau, wo ein Kollege ein Restaurant aufgemacht hat. Aber wir hatten immer wieder Probleme bei dem Import der Waren. Bestechungen am Zoll, die Gänseleber und die Tauben mussten ja irgendwie unbeschadet durchkommen. Und dann kam wieder eine Krise, die Russenkrise. Der Rubel war außer Kontrolle geraten, Jelzin lag im Sterben. Man riet uns, das Land zu verlassen.


Dann kam das Angebot, als Privatkoch zu arbeiten – in dem Chalet eines bekannten Immobilienunternehmers.

Ich wollte zuerst absagen. Jeden Tag Spiegelei und Birchermüsli? Wie langweilig. Aber der Kollege, der mir den Job anbot, sagte: Nee nee, das geht da voll ab, die machen Riesenpartys und so, da musst du richtig groß aufkochen. Na gut, hab ich gesagt, ich mach’ das. Ja, und das war toll! Plötzlich konnte ich nicht nur Koch, sondern auch wieder ein bisschen Kellner sein. Kochen, servieren, quatschen, hier mal einen guten Wein bringen, da mal einen guten Cognac anbieten. Und das Beste: zum erstem Mal durfte ich kochen ohne Budgetbeschränkung. Welcher Koch kann so kochen? Ohne aufs Geld zu achten?



„Als Privatkoch durfte ich zum ersten Mal kochen ohne Budgetbeschränkung. Welcher Koch kann so kochen? Ohne aufs Geld zu achten?“



Was hast du da so gekocht?

Die kulinarisch aufregendste Zeit war meine Zeit bei einer Familie, der mehrere Feinkostabteilungen großer Kaufhäuser gehörten. Die hatten natürlich ein wahnsinniges Verständnis für Essen. Ich habe da selber Brot gebacken, Pralinen gemacht, ich habe ein Riesenmenü zur Hochzeit der Tochter konzipiert. Das war eine Familie vom Kaliber: man bestellt sich Phil Collins für einen Auftritt auf der Gartenparty nach Hause. Haben sie tatsächlich gemacht, ein paar Monate bevor ich kam. Als ich das gehört habe, wusste ich, alles klar, jetzt bin ich ganz oben angekommen. Im Winter sind wir alle zusammen ins Chalet der Familie nach Mégève, da gab es dann richtiges mountain food, Polenta, Pilze, Risotto, Raclette. Wir haben ganze Vacherins in den Ofen geschoben und mit dem Suppenlöffel ausgelöffelt. Es gab flambierte Tartars und an einem Abend haben wir ganze Trüffelknollen der Reihe nach auf Spieße gesteckt und mit Lardo, dem in Gewürze eingelegten italienischen Speck, umwickelt und in der Asche gegart.


Man kann Trüffel im Feuer backen?

Ja, er muss nur gut geschützt sein. Man wickelt den Lardo um die auf die Spieße gesteckten Trüffel und verpackt die Spieße in Alufolie, bevor man sie ins Feuer gibt. Das Fett wirkt als Geschmacksträger und intensiviert das Trüffelaroma. Die Knolle gart ganz sanft und wird nur immer intensiver, und dann isst man sie zu etwas frischem Sauerteigbrot. Bombastisch. Wo kann man an einem Abend ein Kilo Trüffel verballern? Alle Angestellten haben mitgegessen, wie in einer großen Familie. Der Hausherr brachte mir ein Glas Wein und bedankte sich für meine Arbeit. Leider war ich nur eineinhalb Jahre dort, weil ich mit der Madame nicht sehr gut ausgekommen bin.


LESEN SIE DAS GESAMTE INTERVIEW KOSTENFREI AUF



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