Böses Cholesterin. Liebes Statin. Von Missverständnissen und öffentlicher Beeinflussung durch die pharmazeutische Industrie. Der Cholesterinforscher und Biochemiker Hans-Ulrich Jabs im Interview.
- Silvan Brun
- vor 1 Tag
- 21 Min. Lesezeit

Am 5. Mai 2025 veröffentlichte der Tages-Anzeiger einen Artikel mit dem Titel "Probleme mit Cholesterin: Was die richtige Ernährung bringt".[1] Was dem Durchschnittsleser wie ein ehrenhafter Gesundheitsratgeber erscheint, offenbart sich jenen Menschen, die sich mit der Thematik bereits etwas tiefer auseinandergesetzt haben, als absichtlich einseitige Darstellung – gespickt mit biochemisch fragwürdigen Bildern, strukturellen Interessenkonflikten und wirtschaftlich aufgeladenen Empfehlungen.
Im Zentrum dieser Empfehlungen steht die Schweizerische Herzstiftung[2], vertreten durch deren Präsidentin der "Kommission Prävention", Dr. Isabella Sudano, leitende Kardiologin am Universitätsspital Zürich, die die vermeintlich evidenzbasierten Empfehlungen untermauert. So spricht sich Sudano dafür aus, "ab 40 Jahren" die Blutfette zu kontrollieren – und im Falle von erhöhten Cholesterinwerten "frühzeitig Medikamente einzusetzen", falls eine Lebensstiländerung keine Verbesserung mit sich bringe. Und letztere beeinflusse die Cholesterinwerte im Blut lediglich zu maximal zehn Prozent.
Sudano ebnet mit dieser Argumentation den Weg für die Empfehlung einer medikamentösen Therapie mit Statinen, eine Gruppe von Medikamenten, welche die Cholesterinsynthese in der Leber hemmen.[3] Das ist besonders pikant. Denn, die Schweizerische Herzstiftung wird durch die Pharmaindustrie mitfinanziert.[4] Von nahezu sämtlichen großen Pharmaunternehmen mit Herz-Kreislauf-Fokus flossen im Jahr 2023 zweckgebundene Zahlungen für konkrete Inhalte wie Vortragsreihen und dergleichen, die im entsprechenden Jahresbericht unter dem Sammelbegriff der Patientenaufklärung zusammengefasst wurden, an die Schweizerische Herzstiftung. Die im Artikel des Tages-Anzeigers inhaltsbestimmende Schweizerische Herzstiftung ist nicht industrieunabhängig, sondern Teil eines Netzwerks aus Public-Health-Kommunikation, Fortbildung, Forschung und "Patientenaufklärung", das ganz wesentlich von pharmazeutischen Interessen getragen wird. Der geneigten Leserschaft verschweigt das der Tages-Anzeiger allerdings.
Ebenso wenig erfährt die Leserschaft, dass es längst als überholt gilt, die biologische Komplexität der Arteriosklerose auf derart vereinfachte und falsche Art und Weise zu erklären. Unsere Arterien werden nicht mit Cholesterin verstopft, wie man das von einem Abflussrohr kennt, an dem sich gesättigte Küchenfette ablagern können. So zeigen Untersuchungen nämlich, dass freies und verestertes Cholesterin in atherosklerotischen Plaques nur einen kleinen Teil der Masse ausmachen.[5] Und mehr noch: Im Jahr 2005 sagte der deutsche Mediziner Dr. Karlheinz Bayer, der bis dato sechs großen Statin-Studien ausgewertet hatte, gegenüber der Wiener Zeitung, das griffige Cholesterinmodell, wonach sich Cholesterin in den Gefäßen ablagert und Infarkte verursacht, sei ebenso wenig belegbar, «denn es finden sich in etwa der Hälfte der Infarktfälle keine Plaques»[6].
Fleisch enthält schlechte Fette, behauptet ein Ernährungsmediziner. Doch er könnte sich irren.
Weiter wird im Tages-Anzeiger-Artikel behauptet – dieses Mal von Ernährungsmediziner Peter E. Ballmer, schlechte Fette würden sich durch das Vorhandensein von gesättigten Fettsäuren, wie sie etwa in Wurst, Fleisch, Käse oder Butter enthalten seien, charakterisieren. Das deckt sich mit der ewig-gleichen Position der Herzgesellschaften, obschon diese These längst widerlegt wurde.
Historische Daten zeigen nämlich, dass der Konsum von gesättigten Fettsäuren als Treiber der Epidemie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ebenso ausgeschlossen werden kann wie Cholesterin, oder präziser LDL, das im Blut durch die Aufnahme von gesättigten Fettsäuren erhöht werden soll. So belegt eine Auswertung der US-Lebensmitteldaten durch Lee et al. aus dem Jahr 2022, dass die Verfügbarkeit zugesetzter Fette und Öle zwischen 1909 und 2010 zwar um 118 % gestiegen war – von rund 17 auf über 38 Kilogramm pro Person und Jahr – dabei jedoch ein Rückgang gesättigter Fettsäuren aus tierischen Produkten und ein markanter Anstieg industriell raffinierter Samenöle und pflanzlicher Backfette wie Margarine und Shortening zu verzeichnen ist.[7]
Diese Verschiebung im Fettsäuremuster – weg von stabilen, natürlichen, gesättigten Fetten hin zu industriell gewonnenen mehrfach ungesättigten Fettsäuren – verlief zeitgleich mit dem rasanten Anstieg chronischer Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Immerhin erwähnt Ernährungsmediziner Ballmer gegenüber dem Tages-Anzeiger als Faktor, der zur Erhöhung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann, richtigerweise auch die Transfettsäuren, die bei der industriellen Verarbeitung von Speiseölen entstehen können. Etwa beim harschen Extraktions-, Raffinations-, Bleichungs- und Desodorationsprozess, und ebenso bei der gleichfalls wenig zimperlichen Fetthärtung zu Margarinen und technischen Fetten für die Junk-Food-Industrie.
Die Daten zu Junk-Food oder etwas milder ausgedrückt "hochverarbeiteten Nahrungsmitteln" waren auch Gegenstand der Analyse von Lee et al. Sie schreiben in ihrem Papier, dass der Konsum von verarbeiteten und hochverarbeiteten Lebensmitteln im Laufe des 20. Jahrhunderts dramatisch anstieg – von weniger als 5 % auf über 60 % aller verzehrten Nahrungsmittel.
Besonders stark war der Anstieg bei raffiniertem Zucker, weißem und Vollkornmehl, Reis, Geflügelfleisch, Eiern, pflanzlichen Ölen, Milchprodukten und sogar frischem Gemüse. Den rasanten Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem Konsum von rotem Fleisch – und daraus folgernd dem Cholesterin – erklären zu wollen, scheint vor diesem Hintergrund eine schlecht gewählte Abkürzung der Herzgesellschaften und der Pharmaindustrie zu sein.
Es wird "Die Mittelmeerdiät" empfohlen – doch die gibt es nicht. Die Mittelmeerregionen sind fragmentiert und die Menschen ernähren sich und leben teilweise komplett unterschiedlich
Jedenfalls empfiehlt der im Tages-Anzeiger-Artikel zitierte Ernährungsmediziner Peter E. Ballmer gleichwohl die "Mittelmeerkost", um das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen "deutlich" zu senken. Inzwischen sei das durch Studien gut belegt. Die sogenannte Mittelmeerdiät (engl. The Mediterranean Diet, mit grossem "D" für Diet, weil es ein Markenname ist), auf die sich der Artikel beruft, ist allerdings, muss man wissen, kein einheitliches Ernährungskonzept. Vielmehr handelt es sich um eine idealisierte und vor allen Dingen inszenierte Darstellung, wie sie in den 1990er-Jahren durch die von Greg Dresher geführte amerikanische PR-Organisation Oldways und dem Epidemiologen und Ernährungswissenschaftler der Harvard Medical School, Prof. Walter C. Willett, mit Spendengeldern von Regierungen, des International Olive (Oil) Council und der WHO, verbreitet wurde. Oldways organisierte wiederkehrende exklusive mehrtägige Events, zu denen Mediziner, Journalisten und Influencer eingeladen wurden. Kost und Logis inklusive. Richtig tolle Happenings mit Kochkursen, Wein und gutem Essen. Doch, wer sich nicht in den Dienst der Mittelmeerdiät stellte – etwa durch positives öffentliches Berichten über diese – wurde nicht mehr zu Folgeveranstaltungen eingeladen.[8]
Im Rahmen dieser Bewegung wurde 1993 gemeinsam von Oldways, der Harvard School of Public Health und der WHO bei einer Konferenz in Cambridge, Massachusetts, die erste Mediterranean Diet Pyramid, also die Lebensmittelpyramide der Mittelmeerkost, vorgestellt. Und das ungeachtet der Tatsache, dass es "die eine mediterrane Ernährung" nicht gab. Denn, wer den Mittelmeerraum bereist, weiß, dass die Ernährungsformen von Region zu Region unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die Mittelmeerdiät fand vor allem als Gegentrend zur in den USA quasi staatlich verordneten Niedrig-Fett-Diät Anklang. In den späten 1970er-Jahren hatten die USA nämlich eine nationale Low-Fat-Diätpolitik eingeführt, die sich über Jahrzehnte hinweg durch Ernährungsempfehlungen, Gesundheitsrichtlinien und staatlich geförderte Aufklärungskampagnen zog. Allerdings hatte diese Politik, die den Amerikanern trotz fehlender evidenzbasierter Studien empfahl, den Konsum von gesättigten Fetten, Gesamtfett und Cholesterin zu reduzieren – und stattdessen mehr Kohlenhydrate zu essen (Getreide, Stärke, Ballaststoffe), nicht zu einer Reduktion von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geführt – im Gegenteil, einige Gesundheitsindikatoren verschlechterten sich sogar. Letzteres bestätigte die 1993 gestartete Studie Women's Health Initiative (WHI).[9]
Diese Entwicklung auf ernährungstechnischer Seite überschnitt sich mit den Bestrebungen der Pharmaindustrie – wegen lukrativer geschäftlicher Möglichkeiten, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen medikamentös zu bewirtschaften. Ein bemerkenswerter Aspekt, der im Artikel des Tages-Anzeigers jedoch ebenfalls keinerlei Erwähnung findet.
Statine – der Goldesel der Pharmaindustrie
Im Jahr 1985 wurden der Wirkstoff Atorvastatin von Bruce D. Roth bei Warner-Lambert entwickelt und im Folgejahr, 1986, patentiert. Später unter dem Namen Lipitor von Pfizer vermarktet, wurde das Medikament zur erfolgreichsten Arznei aller Zeiten – weltweit! 141 Milliarden US-Dollar Umsatz bis 2017 – mehr als jedes andere Medikament vor den Covid-Impfstoffen. Allein im Jahr 2011 – dem letzten Jahr vor Patentablauf – setzte Pfizer mit Lipitor über 12 Milliarden US-Dollar um. Doch unmittelbar nach dem Verlust des Patentschutzes in den USA (Ende 2011) und Europa (Mitte 2012) brach der Umsatz drastisch ein – auf 3,9 Milliarden im Jahr 2012 und später auf unter 2 Milliarden jährlich.[10]
Interessant ist, dass es auch hier zeitliche Überschneidungen mit einer anderen pikanten Entwicklung gab: Von den medizinischen Fachgesellschaften wurden die Cholesterinzielwerte (für LDL-C) sukzessive abgesenkt. Für Menschen mit "hohem" Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Risiko sieht die Entwicklung der Grenzwerte wie folgt aus:
Vor 2001 galten noch <160 mg/dl (3,0 mmol/l) als akzeptabel.
2001 wurden <100 mg/dl (2,6 mmol/l) für Risikopatienten eingeführt.
2011 dann <70 mg/dl (1,8 mmol/l),
und ab 2019 schließlich sogar <55 mg/dl (1,4 mmol/l) bei "sehr hohem Risiko".
Für Menschen mit "moderatem Risiko" senkte sich der Zielwert gemäss Leitlinien im selben Zeitraum von einer Obergrenze von 160 mg/dl auf unter unter 100 mg/dl ab.
Und Menschen ohne nennenswerte Risikofaktoren wird heute von den Fachgesellschaften ein LDL-C von unter 116 mg/dl (LDL-C) empfohlen.
Als Folge der stetigen Wertkorrektur wurden Millionen zusätzlicher Menschen plötzlich behandlungsbedürftig und wurden von ihren Ärzten zum Schlucken von Statinen gedrängt – auch ohne Symptome oder manifeste Erkrankung. Menschen, die bereits Statine zu sich nahmen, mussten als Folge dieser Wertkorrekturen die Dosis erhöhen und allenfalls sogar zusätzliche Präparate einnehmen. 1,3 Millionen Menschen haben dem Artikel des Tages-Anzeigers zufolge einen zu hohen Cholesterinspiegel oder nehmen Medikamente dagegen. Kritiker sprechen von einer medizinischen Verschiebung der Normalität, angetrieben durch Leitliniengremien, in denen finanzielle Verbindungen zur Industrie dokumentiert sind. Eine Analyse des British Medical Journal zeigte: In der US-Leitlinienkommission hatten 8 von 9 Mitgliedern Interessenkonflikte mit Statinherstellern.[11] Das deckt sich offensichtlich auch mit der Situation in Europa. «Wir haben ein grosses Problem mit Interessenkonflikten entdeckt», sagte Thomas Lempert von leitlinienwatch.de in Berlin im Jahr 2020 gegenüber SRF in Bezug auf die neuen Cholesterin-Leitlinien. «Über 100 Experten haben daran mitgearbeitet. Die Mehrzahl hatte finanzielle Verbindungen zu den Herstellern der teuersten Cholesterinsenker der neuen Generation.»[12]
Wenn man sich an Dr. Bayers Aussage erinnert, wonach man bei der Hälfte der Infarktfälle gar keine Plaques – und demnach auch kein "arterienverkalkendes" Cholesterin – finden könne, wird klar, dass Cholesterin nicht das alleinige Problem für die grassierende Epidemie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein kann. Vielmehr sollten verschiedene Co-Faktoren in Betracht gezogen werden. Etwa oxidierte Lipide, Entzündungsprozesse, Immunantworten und strukturelle Veränderungen in der Gefäßwand – alles Prozesse, die im Artikel des Tages-Anzeigers nicht thematisiert werden. Und ebenso wenig wird darin erwähnt, dass die Medizin nicht weiss, was zu diesen Co-Faktoren führt. Was verursacht diese pathologischen Effekte, die zu Gefäßverschluss und somit zu Herz- oder Hirninfarkt führen können? Ist es das Essen, das Trinken, sind es Lichtverhältnisse, Bewegung- oder Bewegungsmangel, Erschöpfungszustände, schleichende Vergiftung durch neue Umwelteinflüsse, ein Schockereignis – zum Beispiel der Verlust eines geliebten Menschen oder des Arbeitsplatzes oder mehrere sich überlagernde Elemente? Die Medizin weiss es nicht! Ihren institutionellen Aktionären kann das recht sein. Denn so lange die Öffentlichkeit nicht weiss, was sie krank macht, verdienen die Anleger gutes Geld. Neben der Pharmaindustrie sind sie nämlich auch in Firmen und Branchen investiert, die massiv zum Krankheitsgeschehen beitragen dürften. Man denke an Fast Food, Junk Food, Supermarktregale voller industriell hergestellter unnützer Nahrungsmittel, an Tabak-Produkte oder an Vapes, Liquids, Verdampfer und E-Zigaretten, an synthetische Kosmetik, an die chemische Industrie, an Agrar-Firmen, Pestizide, an Autos, Flugzeuge, Kriege, an Smartphones, artifizielles Licht, W-LAN, Mobilfunknetze, kabellose Kopfhörer, synthetische Kleider und Schuhe und so weiter und so fort.
Zeit für unabhängige Experten-Stimmen: Dr. Hans-Ulrich Jabs
In einer Gemengelage aus selektiver Aufklärung und biochemischer Vereinfachung aufgrund von wirtschaftlicher Einflussnahme braucht es Stimmen, die fachlich sattelfest, klinisch erfahren und von institutionellen Interessen vollständig unabhängig sind. In Dr. Hans-Ulrich Jabs glaube ich, eine solche Stimme gefunden zu haben.
Dr. Hans-Ulrich Jabs, Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und promovierter Biochemiker, war in den 1980er-Jahren wissenschaftlich tätig am renommierten Institut für Klinische Chemie und Arterioskleroseforschung der Universität Münster – unter der Leitung von Prof. Dr. Gerd Assmann, dem Initiator der international bekannten PROCAM-Studie.
In dieser Zeit entwickelte Jabs hochauflösende Analyseverfahren zur strukturellen Differenzierung von Lipoproteinen, insbesondere LDL und HDL, und veröffentlichte als Erstautor im angesehenen Journal of Lipid Research die Studie→ "High performance liquid chromatography and time-of-flight secondary ion mass spectrometry: a new dimension in structural analysis of apolipoproteins"(JABS H.-U. et al., 1985)[13], die neue Maßstäbe in der Protein- und Lipidanalytik setzte und bis heute internationale Beachtung findet. Jabs validierte darin Laborverfahren zur LDL- und HDL-Bestimmung gegenüber der damaligen Goldstandardmethode der Ultrazentrifugation – und lieferte Grundlagen, die in der Labordiagnostik bis heute verwendet werden. Seine methodische Arbeit trug entscheidend zur wissenschaftlichen Basis jener Daten bei, die später in die PROCAM-Studie einflossen – noch bevor diese wegen schwerwiegender methodischer Zweifel ihren wissenschaftlichen Rückhalt einbüßte.[14][15]
Heute verbindet Dr. Jabs dieses tiefgreifende biophysikalische Verständnis mit jahrzehntelanger klinischer Erfahrung in der Geriatrie – einem Bereich, in dem die Schwächen der standardisierten Cholesterinbehandlung besonders sichtbar werden: Muskelabbau, kognitive Einbußen, Sturzrisiken und Polypharmazie sind hier keine Theorie, sondern gelebter Klinikalltag.
Im folgenden Interview spricht Dr. Jabs über Cholesterin, LDL, Statine, oxidativen Stress, die extrazelluläre Matrix, Biophotonik – und über die zentrale Frage, ob wir die Natur durch Medikamente "regulieren" können. Oder ob wir sie nicht lieber verstehen und respektieren lernen sollten.
Interview mit Dr. Hans-Ulrich Jabs
Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und Biochemiker
Geführt von Silvan Peter Brun, evoo.expert
Herr Doktor Jabs, im Tages-Anzeiger war jüngst von Problemen mit dem Cholesterin und von damit in Verbindung gebrachten Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu lesen. Die Überschrift lautete: «Herzinfarkt und Hirnschlag vorbeugen». Die Leiterin der "Kommission Prävention" der Schweizerischen Herzstiftung, rät darin, sich ab dem 40. Lebensjahr vorsorglich untersuchen zu lassen und falls nahe Verwandte bereits früh einen Infarkt oder Schlaganfall erlitten hatten oder eine familiäre Hypercholesterinämie bekannt ist, dann sei eine erste Bestimmung schon früher empfohlen, eventuell bereits im Kindesalter. Ich bin in meinem 40. Lebensjahr, und in unserer Familie gab es Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Muss ich mir allergrößte Sorgen machen?
Dr. Jabs: «Ich verstehe Ihre Sorge gut – gerade wenn in der Familie Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten sind. Doch ich möchte Sie beruhigen: Eine solche familiäre Häufung allein rechtfertigt noch keine intensive medizinische Überwachung oder gar frühzeitige medikamentöse Maßnahmen. Erlauben Sie mir zur Einordnung meiner Perspektive einen kurzen Rückblick: Ich bin Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und promovierter Biochemiker. Von 1982 bis 1987 war ich am Institut für Klinische Chemie und am Institut für Arteriosklerose-Forschung der Universität Münster unter Prof. Dr. med. Gerd Assmann, einem der bekanntesten Lipidforscher Europas, der die große prospektive PROCAM-Studie führte, tätig. Ich leitete dort die proteinchemische Forschungsgruppe zur Methodenentwicklung für die PROCAM-Studie – eine der wichtigsten europäischen Langzeitstudien über Herz- und Gefäßerkrankungen. Damals entwickelten wir präzise Messverfahren für LDL- und HDL-Cholesterin und validierten diese gegen den damaligen Goldstandard der Ultrazentrifugation. Ich kenne daher die Möglichkeiten – aber auch die Grenzen – solcher Labormessungen sehr genau. Aus dieser Erfahrung heraus sage ich: Eine routinemäßige Messung der Blutfette ist für sich genommen weder zur Früherkennung noch zur sicheren Risikobeurteilung geeignet – und schon gar nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage für eine medikamentöse Behandlung. Die Sorge um das Cholesterin wurde in den letzten Jahrzehnten stark überzeichnet – oft ohne den biologischen Kontext zu beachten. Mein Rat: Konzentrieren Sie sich auf Ihren Lebensstil, nicht auf Grenzwerte ohne Substanz.»
Die Prospective Cardiovascular Münster Study – kurz PROCAM, die Sie erwähnen und an der sie in den Anfangsjahren beteiligt waren, dient – bis heute – als Grundlage für Cholesterin-Risikorechner, Leitlinien und Empfehlungen der Deutschen Herzstiftung, obschon die Validität dieser Arbeit spätestens 2012 angezweifelt wurde. Damals entzog die Leibniz-Gemeinschaft dem besagten Institut für Arteriosklerose-Forschung der Universität Münster (LIFA) den Leibniz-Status woraufhin die Gelder versiegten und das Institut Mitte 2014 schliessen musste. Zudem wurde bereits 2010 gegen den früheren Institutsleiter ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen Untreue geführt. Fördermittel für wissenschaftliche Projekte sollen auf andere Konten umgeleitet worden sein, ist einem Artikel der Westfälischen Nachrichten vom 10.07.2010 zu entnehmen. Wie ordnen Sie vor diesem Hintergrund die Aussagekraft der PROCAM-Studie ein?
«Dieses in der Bundesrepublik erstmalige Vorgehen gegen ein Universitätsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft – der Entzug des Leibniz-Status und der Fördergelder – kam für mich als Insider nicht unerwartet. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Bitte die nächste Frage.»
Zurück zum Cholesterin. Damit wir das besser verstehen: Was ist Cholesterin genau?
«Cholesterin ist kein gefährlicher Fremdstoff – im Gegenteil: Es ist ein lebensnotwendiger Bestandteil des menschlichen Körpers. Man könnte sagen: Ohne Cholesterin gäbe es keine Zellmembran, keine Hormone, kein stabiles Nervensystem, schlicht kein Leben. Wenn wir das anhand von Zahlen verdeutlichen wollen: Das menschliche Gehirn besteht zu etwa 40 % aus Cholesterin. Rote Blutkörperchen enthalten es zu etwa 50 % in ihrer Zellhülle. Diese hohe Konzentration verdeutlicht seine strukturelle Bedeutung. Weil Fettstoffe wie Cholesterin nicht wasserlöslich sind, kann unser Körper sie nicht einfach so durchs Blut transportieren. Deshalb verpackt er sie in sogenannte Lipoproteine – das sind Transportkügelchen, die Cholesterin, Fettsäuren und Eiweiße (Apolipoproteine) enthalten. Diese Partikel bringen Cholesterin zu den Organen (LDL) oder zurück zur Leber (HDL). Im Blut verändert sich die Zusammensetzung dieser Lipoproteine fortlaufend – sie werden "prozessiert", also umgebaut, je nachdem, welche Aufgabe sie gerade erfüllen. Die vereinfachte Einteilung in "gutes HDL" und "schlechtes LDL" greift dabei zu kurz. Problematisch wird LDL nur, wenn es oxidiert – also chemisch verändert wird – und vom Immunsystem als schädlich erkannt wird. Das passiert vor allem, wenn der Körper unterversorgt mit Antioxidantien ist.»
Warum gilt Cholesterin nach wie vor als Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall? Was ist die wissenschaftliche Begründung dafür?
«Die eigentliche Gefahr geht nicht vom Cholesterin an sich aus, sondern von verändertem (oxidiertem) LDL-Cholesterin. Wenn LDL-Partikel durch Oxidation geschädigt werden, stuft das Immunsystem sie als „fremd“ ein und will sie entsorgen. Dazu aktiviert der Körper sogenannte Makrophagen – das sind Fresszellen, die in die Gefäßwände einwandern und dort das oxidierte LDL aufnehmen. Die Makrophagen verwandeln sich dadurch in sogenannte Schaumzellen. Diese lagern sich zwischen den Schichten der Gefäßwand ein – genau dort entstehen die Plaques, die man von der Arteriosklerose kennt. Die Oberfläche einer solchen Plaque ist sehr dünn. Wenn sie – etwa durch hohen Blutdruck oder starke Strömung an einer Gefäßgabelung – einreißt, geraten die oxidierten Lipide in Kontakt mit dem Blutgerinnungssystem. Das kann zu einem plötzlichen Gefäßverschluss führen – also zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall.»
Wie "misst" oder "bestimmt" man denn Cholesterin?
«In medizinischen Labors werden die Anteile von LDL- und HDL-Cholesterin meist mit enzymatischen Tests gemessen. Diese Verfahren sind zwar praktisch, aber nicht besonders präzise: Sie haben eine mögliche Messabweichung von bis zu 20 %. Das bedeutet: Wenn ein Labor "leicht erhöhtes LDL" meldet, könnte es sich genauso gut um einen Normwert handeln – oder um eine fehlerhafte Einstufung. Therapieentscheidungen auf Basis solch ungenauer Werte halte ich für fragwürdig.»
«Einen lebenswichtigen Stoff künstlich zu unterdrücken, ohne den Lipidstoffwechsel wirklich verstanden zu haben, ist Körperverletzung.»
Dr. Hans-Ulrich Jabs
Wann spricht man medizinisch eigentlich von einem "zu hohen Cholesterinwert" – und wie kommt diese Schwelle zustande?
«Die "Normwerte" für Cholesterin sind nicht etwa naturgegeben, sondern von Fachgesellschaften definiert – und sie wurden über die letzten Jahrzehnte immer weiter nach unten verschoben. In meiner eigenen Forschungszeit galt noch eine einfache Faustregel: 100 plus Lebensalter – also zum Beispiel 140 mg/dL bei einem 40-jährigen Menschen – war ein akzeptabler Wert. Heute gelten teils LDL-Zielwerte von unter 70 mg/dL als anzustreben. Doch diese Absenkung der Zielwerte ist nicht wissenschaftlich fundiert. Es fehlen klare Belege dafür, dass niedrigere Werte tatsächlich zu besserer Gesundheit führen. Aus meiner Sicht ist das ein medizinischer Irrweg.»
Weshalb wurden die Grenzwerte stetig abgesenkt?
«Hier wird es heikel. Ich möchte mich dazu nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber so viel sei gesagt: Die regelmäßige Absenkung der Zielwerte lässt sich nicht mit objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen erklären. Stattdessen scheint sich in der Kardiologie und Neurologie eine ideologische Haltung durchgesetzt zu haben: "Je tiefer der Cholesterinwert, desto besser." Aber das ist kein wissenschaftliches Prinzip – sondern eine sehr einseitige Sichtweise. Wenn man diesen Ansatz konsequent zu Ende denkt, müsste man fast vorschlagen, Statine ins Trinkwasser zu mischen. Ich halte das für bedenklich. Einen lebenswichtigen Stoff künstlich zu unterdrücken, ohne den Lipidstoffwechsel wirklich verstanden zu haben, ist Körperverletzung.»
«Im Rahmen der PROCAM-Studie haben wir zahlreiche Stoffwechselanalysen durchgeführt – unter anderem zur seltenen Tangier-Krankheit, bei der Menschen praktisch kein HDL bilden können und dennoch keine vorzeitige Arteriosklerose entwickeln. Das zeigt, wie komplex und individuell der Lipidstoffwechsel ist.»
Dr. Hans-Ulrich Jabs
Es gibt Studien, die keinen klaren Zusammenhang zwischen LDL und Sterblichkeit zeigen. Wie ist das aus Ihrer Sicht einzuordnen?
«Sterblichkeit ist kein valider Endpunkt für einen einzelnen Laborwert – schon gar nicht für LDL, das mit einer Messungenauigkeit von bis zu 20 % behaftet ist. Die Aussage „LDL erhöht das Risiko zu sterben“ ist wissenschaftlich nicht haltbar. Ich war über viele Jahre in die PROCAM-Studie eingebunden – eine der umfangreichsten Langzeitbeobachtungen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Europa. Dort haben wir Herzinfarkt und Schlaganfall als sogenannte harte Endpunkte verfolgt. Dass diese Erkrankungen auch tödlich verlaufen können, ist selbstverständlich. Aber entscheidend ist: Weder LDL noch oxidiertes LDL (oxLDL) allein sind die Ursache für diese Todesfälle.»
Im Artikel des Tages-Anzeigers wird geschrieben, der Lebensstil könne den Cholesterinspiegel nur um 10 % senken. Ich kann mich also benehmen, wie ich will, mein Schicksal liesse sich einzig und alleine durch Tabletten ändern. Das ist eine wenig ermutigende Aussicht.
«Diese Behauptung greift viel zu kurz. Im Rahmen der PROCAM-Studie haben wir zahlreiche Stoffwechselanalysen durchgeführt – unter anderem zur seltenen Tangier-Krankheit, bei der Menschen praktisch kein HDL bilden können und dennoch keine vorzeitige Arteriosklerose entwickeln. Das zeigt, wie komplex und individuell der Lipidstoffwechsel ist. In eigenen Untersuchungen mit Sportstudenten konnten wir zeigen, dass die Nahrungszufuhr von Cholesterin den LDL-Spiegel kaum beeinflusst hat. Ganz anders beim HDL: Regelmäßiges Ausdauertraining – zum Beispiel Laufen – steigerte den HDL-Wert um bis zu 30 %. Und zwar dauerhaft. Diese Erkenntnisse widersprechen der Behauptung, dass der Lebensstil kaum Einfluss habe. Im Gegenteil: Bewegung, Ernährung, Schlafqualität, Stressbewältigung und soziale Bindung wirken ganzheitlich auf das Lipidprofil und auf das Entzündungsgeschehen im Körper. Die Vorstellung, man könne das Herz nur mit Tabletten schützen, ist wissenschaftlich wie menschlich irreführend.»
Die Autoren empfehlen trotzdem Rapsöl als "gutes Fett" – und raten von Butter oder tierischen Fetten ab. Hand aufs Herz, würden Sie als Mediziner und Biochemiker den Menschen dasselbe raten?
«Die Einteilung in "gute" und "schlechte" Fette basiert oft auf Oxidationstests im Labor, bei denen gesättigte und ungesättigte Fettsäuren unter Extrembedingungen getestet werden. Diese Untersuchungen mögen für die Chemie interessant sein, aber sie haben keine belastbare Aussagekraft für den menschlichen Organismus. Tierversuche mit hohen Dosen einzelner Fettsäuren oder einseitigen Diäten sind nicht geeignet, um daraus allgemeine Ernährungsempfehlungen abzuleiten – weder für Gesunde noch für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wer solche Empfehlungen ausspricht, sollte offenlegen, dass es sich um eine persönliche Einschätzung handelt – nicht um eine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis. Und: Patienten dürfen kritisch sein. Ein guter Gradmesser für die Glaubwürdigkeit ärztlicher Empfehlungen ist das Verhalten und Erscheinungsbild des Arztes selbst. Wer übergewichtige, rauchende oder chronisch gestresste Ärzte kennt, die ungefragt Ernährungstipps geben, sollte sich fragen, wie ernst es diesen wirklich mit Prävention ist.
«Allerdings wurde Raps durch genetische Eingriffe und Züchtung überhaupt erst für den menschlichen Verzehr nutzbar gemacht. Für Öle, die aus genetisch manipulierten Pflanzen stammen, fehlen bislang aussagekräftige Studien zu möglichen Auswirkungen auf Immunsystem und Herz-Kreislauf-Gesundheit.»
Dr. Hans-Ulrich Jabs
Aber ganz konkret in Bezug auf die Herz- resp. Gefässgesundheit – raffiniertes Rapsöl, Butter von weidenden Kühen oder natives Olivenöl extra?
«Um diese Frage zu beantworten, reicht es nicht, nur die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels zu betrachten und daraus Rückschlüsse auf die Wirkung im menschlichen Stoffwechsel zu ziehen. Entscheidend ist die biologische Matrix, in der diese Stoffe eingebettet sind. Gerade bei komplexen, natürlichen Lebensmitteln ist diese Matrix ausschlaggebend für die gesundheitliche Wirkung. In vielen aktuellen Veröffentlichungen werden Metaanalysen herangezogen, also Zusammenfassungen von Primärpublikationen mit großen Fallzahlen. Daraus werden biochemische Schlussfolgerungen gezogen – oft ohne dass im Methodenteil präzise Messdaten enthalten wären. Trotzdem entstehen daraus scheinbar wissenschaftlich fundierte Aussagen, die dann direkt in medizinische Handlungsempfehlungen überführt werden – ohne ausreichende Datengrundlage. Natives Olivenöl extra ist sowohl wissenschaftlich als auch traditionell am besten belegt, wenn es um präventive und therapeutische Effekte auf das Herz-Kreislauf-System geht – das zeigen nicht nur Studien, sondern auch die langjährige Erfahrung aus den sogenannten Blue Zones. Butter von Weiderindern enthält neben gesättigten Fettsäuren auch konjugierte Linolsäure (CLA) und Vitamin K2. Beide gelten als potenziell gesundheitsfördernd. Die gesättigten Fettsäuren stehen zwar in der Ernährungswissenschaft oft in der Kritik, doch ihre physiologische Funktion wird häufig übersehen: Sie sind Bestandteil der Zellmembranen und im menschlichen Fettgewebe in großer Menge als Energiereserve vorhanden. Rapsöl enthält viele einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, von der letzteren vor allem Alpha-Linolensäure. Allerdings wurde Raps durch genetische Eingriffe und Züchtung überhaupt erst für den menschlichen Verzehr nutzbar gemacht. Für Öle, die aus genetisch manipulierten Pflanzen stammen, fehlen bislang aussagekräftige Studien zu möglichen Auswirkungen auf Immunsystem und Herz-Kreislauf-Gesundheit.»
Wie sehen Sie den Einfluss von (oxidierten) Phytosterolen, die in Samenölen in hohen Mengen vorkommen (bis zu 18'000 mg / kg) und sich in Gewebe einlagert (u. a. in der Leber) mit Blick auf Herz-/Kreislauferkrankungen?
«Oxidierte Phytosterole – sogenannte POPs (Phytosterol Oxidation Products) – geraten zunehmend in den Fokus der Forschung. Und das zurecht: Denn obwohl nicht oxidierte Phytosterole für ihre cholesterinsenkende Wirkung bekannt sind, weisen Studien auf potenziell nachteilige Effekte ihrer oxidierten Formen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit hin. Phytosterole ähneln dem Cholesterin strukturell und konkurrieren mit ihm im Dünndarm um die Aufnahme. Dadurch gelangt weniger Cholesterin aus der Nahrung (exogenes Cholesterin) ins Blut. Diese verminderte Resorption führt oft zu einer leichten Senkung des LDL-Spiegels im Serum. Die körpereigene Cholesterinproduktion in der Leber (endogenes Cholesterin) wird durch diesen Mechanismus allerdings nicht direkt beeinflusst – sie kann im Gegenteil sogar reaktiv ansteigen. Der LDL-Rückgang ergibt sich vor allem dadurch, dass die Leber mehr LDL aus dem Blut aufnimmt, um ihren Bedarf zu decken. Dieser biochemische Effekt der LDL-Senkung wird häufig als gesundheitsfördernd dargestellt. Doch die Bewertung greift zu kurz, wenn man nicht auch die strukturelle Integrität und Oxidationsanfälligkeit dieser Substanzen berücksichtigt. Problematisch wird wie gesagt, wenn Phytosterole oxidieren – etwa bei der industriellen Extraktion und Raffination von Speiseölen oder bei der Weiterverarbeitung wie der Fetthärtung (z. B. in Margarine) oder bei längerer Lagerung. Dabei entstehen POPs, die sich – ähnlich wie oxidiertes Cholesterin – im Körpergewebe ablagern können, insbesondere in der Leber. Studien zeigen, dass bestimmte POPs entzündliche Prozesse fördern und oxidativen Stress in Gefäßwänden auslösen können. Die Wirkung unterscheidet sich damit grundlegend von natürlichen, nicht oxidierten Phytosterolen, wie sie in Nüssen, Saaten oder hochwertigen Pflanzenölen vorkommen. Während letztere – bei maßvollem Konsum – eine LDL-senkende und möglicherweise gefäßprotektive Wirkung entfalten können, bergen oxidierte Phytosterole ein potenzielles Risiko für Gefäßschäden und chronische Entzündungsprozesse. Deshalb ist aus meiner Sicht der Konsum von stark verarbeiteten und / oder mit Phytosterolen angereicherten Produkten (Lifestyle-Margarinen) kritisch zu hinterfragen.»
«Auch wenn Nebenwirkungen wie Rhabdomyolyse, CoQ10-Verarmung oder Leberwertveränderungen bekannt sind, war der Nutzen für diese Hochrisikopatienten gerechtfertigt. Was ich aber heute beobachte, ist eine bedenkliche Ausweitung des Statineinsatzes auf große Bevölkerungsgruppen – etwa zur Primärprävention, bei allgemeinen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, als "Lifestyle-Medikation" oder bei älteren, multimorbiden Menschen.»
Dr. Hans-Ulrich Jabs
Cholsterinsenkung ist ein gutes Stichwort. Lassen Sie uns zurück zur Schulmedizin gehen: Statine gehören zu den meistverordneten Medikamenten überhaupt. In welchen Fällen – wenn überhaupt – halten Sie den Einsatz für sinnvoll – und wo ist Vorsicht geboten?
«Ich war wie gesagt in den 1980er-Jahren am Institut für Arterioskleroseforschung der Universität Münster tätig – jenem Institut, das an der Phase-III-Zulassung von Simvastatin beteiligt war. Die ursprüngliche Indikation des Medikaments richtete sich an Menschen mit einer familiären, homozygoten Hyperlipoproteinämie, also einer sehr seltenen, genetisch bedingten Fettstoffwechselstörung. Für diese Gruppe war Simvastatin eine sinnvolle medikamentöse Alternative zur Lipid-Apherese – einer aufwendigen Blutreinigungsmethode. Auch wenn Nebenwirkungen wie Rhabdomyolyse, CoQ10-Verarmung oder Leberwertveränderungen bekannt sind, war der Nutzen für diese Hochrisikopatienten gerechtfertigt. Was ich aber heute beobachte, ist eine bedenkliche Ausweitung des Statineinsatzes auf große Bevölkerungsgruppen – etwa zur Primärprävention, bei allgemeinen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, als "Lifestyle-Medikation" oder bei älteren, multimorbiden Menschen. Für diese breite Anwendung sehe ich keine wissenschaftliche Begründung – im Gegenteil: Bei geriatrischen Patienten halte ich den Einsatz für fahrlässig. In der geriatrischen Reha-Praxis zeigte sich, dass fast alle Patienten Statin erhielten. Nach dem Absetzen beobachteten wir Verbesserungen in Kognition, Mobilität und Blutbildung – Nebenwirkungen, die zuvor pauschal dem Alter zugeschrieben worden waren.»
Welche nicht-medikamentösen Maßnahmen sehen Sie als wirksam an, um Blutfette zu verbessern und das Herz zu schützen?
«Die Arteriosklerose ist in den meisten Fällen keine genetische oder schicksalhafte Krankheit, sondern eine Lebensstil-Erkrankung – wie auch Typ-2-Diabetes oder das metabolische Syndrom. Die Ursachen liegen häufig im Bewegungsmangel, im Überangebot an verarbeiteten Lebensmitteln, in chronischem Stress, Schlafmangel oder sozialer Isolation. Ein Blick auf die sogenannten "Blue Zones" – das sind Regionen mit besonders hoher Lebenserwartung – zeigt: Dort leben die Menschen einfach, körperlich aktiv, eingebunden in tragfähige soziale Strukturen, sie essen überwiegend frisch, lokal und sie kennen kaum Medikamente. Mein Rat: Bewegung, gute Ernährung, ausreichend Schlaf, wenig Stress und soziale Geborgenheit – das sind die stärksten Schutzfaktoren für das Herz. Kein Medikament kann das ersetzen.»
«EZ-Wasser ist keineswegs "alternativmedizinisch", sondern biophysikalisch erklärbar. Wenn Wasser seine Ordnung verliert, verlieren auch die Zellen ihre Funktion.»
Dr. Hans-Ulrich Jabs
Bisher haben wir vor allem über die Bedeutung von Cholesterin, LDL und die medizinische Sicht auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesprochen. In der wissenschaftlichen Diskussion gibt es jedoch immer mehr Stimmen, die den Fokus von Cholesterin als Marker auf tiefere Zusammenhänge lenken – insbesondere auf die Rolle von Wasser, elektrischer Ladung, Zellkommunikation und der extrazellulären Matrix. Der amerikanische Forscher Dr. Stephen Hussey, der anfangs dreissig einen Wittwenmacher-Myokardinfarkt erlitt, beispielsweise vertritt in seinem Buch "Understanding the Heart" ein funktionelles, elektromagnetisches Verständnis von Blutfluss und Plaquebildung. Für ihn beginnt Gesundheit nicht bei Blutfetten – sondern bei Wasser, elektrischer Ladung und der Fähigkeit des Körpers, Ordnung aufrechtzuerhalten. Herr Doktor Jabs, Sie haben diese Sichtweise als "voll und ganz unterschreibbar" bezeichnet. Deshalb möchte ich zum Abschluss unseres Gesprächs noch zwei vertiefende Fragen stellen:
Dr. Hussey spricht viel über EZ-Wasser – also strukturiertes Wasser, das sich im Körper entlang von Zellwänden bildet. Sie selbst schreiben über die Bedeutung der Zellumgebung. Was genau hat dieses "besondere Wasser" mit Gesundheit zu tun – und warum ist das womöglich mehr als ein alternativmedizinisches Konzept?
«EZ-Wasser – kurz für "Exclusion Zone Water" – ist ein besonders strukturierter Zustand von Wasser, der sich an wasserliebenden Oberflächen wie Zellmembranen bildet. Diese Struktur wurde vom Zellbiologen Gerald Pollack beschrieben und gilt als sogenannter vierter Aggregatzustand von Wasser. Es ist klar organisiert, negativ geladen und weitgehend frei von gelösten Ionen. Dieses Wasser erfüllt wichtige Aufgaben im Körper: Es stabilisiert Zellstrukturen und Enzyme, unterstützt die Energiegewinnung und erleichtert die Zellkommunikation. Zellmembranen, an denen sich EZ-Wasser bildet, sind nicht nur Barrieren, sondern auch aktive Schaltzentralen. Sie regulieren den Austausch von Ionen und Stoffen und erzeugen das sogenannte Membranpotenzial – eine elektrische Spannung, die für Nervenreize, Muskelaktivität und Stoffwechselvorgänge entscheidend ist. Auch Enzyme, also die biochemischen Katalysatoren des Körpers, reagieren sensibel auf die Wasserumgebung. Ihre Funktion hängt unter anderem vom pH-Wert, von Ionenverhältnissen – aber eben auch von der Wasserstruktur ab. Wenn die EZ-Zonen im Zellinneren stabil sind, können Enzyme ihre Aufgaben besser erfüllen – und das wirkt sich auf Prozesse wie Entgiftung, Reparatur und Energieproduktion aus. Kurz gesagt: Struktur und Qualität des Wassers in und um die Zellen sind zentral für Gesundheit und Langlebigkeit. Es ist keineswegs "alternativmedizinisch", sondern biophysikalisch erklärbar. Wenn Wasser seine Ordnung verliert, verlieren auch die Zellen ihre Funktion.»
Sie schreiben, dass die extrazelluläre Matrix – also das Gewebe zwischen den Zellen – unser inneres Orchester sei. Was bedeutet das konkret? Und warum sollten wir der "Umgebung der Zellen" mindestens so viel Aufmerksamkeit schenken wie den Zellen selbst?
«Die extrazelluläre Matrix – kurz ECM – ist der Raum zwischen den Zellen. Dort laufen zentrale enzymatische Prozesse ab, und hier findet auch die Zellkommunikation statt, etwa über Exosomen – wie man sie zum Beispiel im Kolostrum findet. Der menschliche Körper besteht aus etwa 30 Billionen Zellen. Pro Sekunde sterben rund 20 Millionen davon und müssen durch ebenso viele neue ersetzt werden. Diese enorme Regenerationsleistung erfordert ein hoch funktionelles Umfeld – mit optimaler Osmolarität, stabilem pH-Wert, exakter Nährstoffverfügbarkeit und einem fein abgestimmten elektrochemischen Milieu.Neben chemischen und elektrischen Prozessen scheint auch die biophotonische Kommunikation – also ultraschwache Lichtemissionen der Zellen – eine Rolle zu spielen. In der Biophysik geht man heute davon aus, dass viele Regulationsprozesse über lichtbasierte Informationsübertragung synchronisiert werden. Diese Steuerung erfolgt mit einer Geschwindigkeit, die klassische molekulare Modelle nicht erklären können. Für mich sind die ECM und die Mitochondrien die beiden zentralen Orte, an denen zelluläre Regulation, Energiegewinnung und Gesundheit entstehen. Deshalb fasziniert mich der Zellstoffwechsel im Menschen und speziell in der Haut. Wie Sokrates sinngemäß gesagt haben soll: Wahre Einsicht beginnt mit dem Wissen um das eigene Nichtwissen. Das wird mir umso bewusster, je älter ich werde.»
"Wir können das Rätsel der Natur nie ganz lösen. Denn wir sind selbst ein Teil des Rätsels, das wir zu lösen versuchen", soll Max Planck gesagt haben. Macht es deshalb nicht alternativlos Sinn, dass wir die Natur mit ihrem Reichtum und ihren Gesetzmässigkeiten annehmen, anstatt zu versuchen, sie bei jeder Gelegenheit – mit artifiziellen Nahrungsmitteln, künstlichen Medikamenten, synthetischen Kleidern, ja schlicht mit einem naturfernen Lebensstil – überlisten zu wollen?
«Ja, das Stimmt. Albert Einstein sagte einmal: "Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben – als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder." Und so freue ich mich jeden Tag, wenn ich im menschlichen Stoffwechsel ein weiteres kleines Wunder der Schöpfung erkennen darf.»
Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Doktor Jabs.
Quellen:
[1] AERNI Stefan, Probleme mit Cholesterin: Was die richtige Ernährung bringt, Tages-Anzeiger vom 05.05.2025; zu finden unter (Paywall): https://www.tagesanzeiger.ch/probleme-mit-cholesterin-was-die-richtige-ernaehrung-bringt-573054629833
[2] Schweizerische Herzstiftung, Bern; zu finden unter: https://swissheart.ch/
[3] Statin, DocCheck Flexikon; zu finden unter: https://flexikon.doccheck.com/de/Statin
[4] Jahresrechnung 2023, Schweizerische Herzstiftung; zu finden unter: https://swissheart.ch/die-herzstiftung/wer-wir-sind
[5] ROZIE et al., Atherosclerotic plaque volume and composition in symptomatic carotid arteries assessed with multidetector CT angiography; relationship with severity of stenosis and cardiovascular risk factors, European Radiology, Vascular-Interventional, Volume 19, pages 2294–2301, vom 22.04.2009; zu finden unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s00330-009-1394-6
[6] BAYER Karlheinz, Cholesterinsenker: Nutzen weiter fragwürdig, Wiener Zeitung, vom 24.11.2005; zu finden unter: https://www.wienerzeitung.at/h/cholesterinsenker-nutzen-weiter-fragwurdig
[7] LEE et al., United States Dietary Trends Since 1800: Lack of Association Between Saturated Fatty Acid Consumption and Non-communicable Diseases, Frontiers in Nutrition, Section Nutritional Epidemiology, Volume 8 - 2021, vom 13.01.2022; zu finden unter: https://www.frontiersin.org/journals/nutrition/articles/10.3389/fnut.2021.748847/full
[8] TEICHOLZ Nina, The Big Fat Surprise, Why Butter, Meat and Cheese Belong in a Healthy Diet, Simon & Schuster, vom 06.01.2015; zu finden in der Buchhandlung
[9] Women's Health Initiative; zu finden unter: https://www.whi.org/
[10] Worldwide revenue of Pfizer's Lipitor from 2003 to 2019, Statista, Health, Pharma & Medtech› Pharmaceutical Products & Market, vom 22.05.2024; zu finden unter: https://www.statista.com/statistics/254341/pfizers-worldwide-viagra-revenues-since-2003/
[11] Rapid response to: Scandals have eroded US public's confidence in drug industry, BMJ 2004;329:247; zu finden unter: https://www.bmj.com/rapid-response/2011/10/30/statins-conflicts-and-cholesterol-neurosis-may-cause-blindness-authors?utm_source=chatgpt.com
[12] Neue Cholesterin-Leitlinie sehr umstritten, SRF, vom 09.10.2020; zu finden unter: https://www.srf.ch/wissen/gesundheit/umstrittener-zielwert-neue-cholesterin-leitlinie-sehr-umstritten
[13] JABS et al., High performance liquid chromatography and time-of-flight secondary ion mass spectrometry: a new dimension in structural analysis of apolipoproteins, Journal of Lipid Research, Volume 27, Issue 6, August 1988, Pages 613-621; zu finden unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0022227520388064
[14] Leibniz-Institut für Arterioskleroseforschung, Wikipedia; zu finden unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Leibniz-Institut_f%C3%BCr_Arterioskleroseforschung
[15] Stellungnahme zum Leibniz-Institut für Arterioskleroseforschung an der Universität Münster (LIFA), Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft, 07.07.20210; zu finden unter: https://www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/ARCHIV_downloads/Archiv/Evaluierung/Senatsstellungnahmen/Senatsstellungnahme-LIFA-2010.pdf