Olivenöl: Ist bitter besser?
- Silvan Brun
- vor 1 Tag
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«Bitter ist besser» sagt der griechische Olivenölexperte Athanasius Gadanidis mit Bezug auf natives Olivenöl.
Tatsächlich sind in der Sensorik frisch anmutende Olivenöle eher bitter, jedoch niemals ölig oder fettig.
Ein fettiges Olivenöl ist in der Regel ein altes, oxidiertes Olivenöl.
Athanasius Gadanidis meint dazu: «Ranziges Olivenöl ist nicht bitter, sondern ölig. Es klebt am Mund.»
Wenn wir raffinierte Samenöle pur kosten – also jene Produkte, in denen die Küchenchefs landauf, landab Schnitzel und Kartoffeln braten lassen –, stellen wir fest, dass wir diese praktisch ausnahmslos als ölig (oder eben fettig) empfinden. Klar – weil diese Produkte stark oxidiert sind. Eine Ranzigkeit können wir bei diesen Produkten – anders als bei alten nativen Olivenölen – zunächst nicht feststellen, da jene flüchtigen Verbindungen, die für das sensorische Attribut "ranzig" verantwortlich sind, bei der Vakuumdampfdestillation (der letzte Schritt der Raffination) herausgelöst wurden. Zurück im Öl bleiben nichtflüchtige Oxidationsprodukte, die wir nicht riechen können.
Ölig ist für uns (ohne auch Ranzigkeit feststellen zu können) leider kein Warnsignal, so wie es die Bitterkeit bei Früchten und Gemüsen ist. Bitterkeit bedeutet uns, dass das Produkt giftig sein könnte. Nicht zu unrecht.
Nach dem naturwissenschaftlichen Verständnis sind für die bitteren Noten in nativem Olivenöl organische Verbindungen verantwortlich, die beim Rühren des Olivenbreis im Malaxer aus – in der intakten Olivenfrucht gebundenen – sekundären Pflanzenstoffen entstehen.
Diese in der Frucht gebundenen sekundären Pflanzenstoffe sind in hoher Konzentration für uns tatsächlich giftig, weshalb wir es kaum schaffen, zehn baumfrische Oliven zu verzehren, ohne dass es uns dabei speiübel wird.
Diese Verbindungen sind wasserlöslich. Erst mit Abspaltung des Zuckerteils werden die daraus entstehenden Abbauprodukte moderat fettlöslich und können so in winzigen Mengen in die ölige Phase übergehen. Dennoch ist die Konzentration hoch genug, dass wir Bitterkeit im Öl wahrnehmen können.
Bei diesen bitteren Abbauprodukten handelt es sich um polyphenolische Secoiridoide. Man nennt sie
Oleuropein-Aglykon
Oleacein (decarboxymethyl-oleuropein-aglykon)
Oleacein – übrigens ein Abbauprodukt von Oleuropein-Aglykon selber – ist ausserdem für die Adstringenz verantwortlich, die wir beim Kosten von frischem Olivenöl wahrnehmen.
Für die Schärfe im Olivenöl verantwortlich ist hauptsächlich das monophenolische Secoiridoid
Oleocanthal (decarboxymethyl-ligstrosid-aglykon)
Es entsteht aus der Glykosid-Vorstufe Ligstrosid, das ebenfalls fettunlöslich ist.
Nach naturwissenschaftlichem Verständnis kann man die beiden Verbindungen Oleacein und Oleocanthal nicht unter dem Begriff "Polyphenole" zusammenfassen. Nur Oleacein (aus Oleuropein) ist ein Polyphenol, während Oleocanthal (aus Ligstrosid) ein Monophenol ist.
Athanasius Gadanidis spricht deshalb korrekterweise von "Biophenolen".
Aber unter uns Königskindern: Der Naturwissenschaft ist es bis heute nicht gelungen, weder Polyphenole noch Monophenole in Olivenöl direkt nachweisen zu können. Lediglich über umständliche und substanzschädigende Verfahren, die Signale auf einem Bildschirm erzeugen, welche mit Referenz-Standards abgeglichen werden, gelangt die Wissenschaft zum Schluss, dass es sich eben um jene Verbindungen handeln muss. Fotografien aus Licht- oder Elektronenmikroskopie gibt es deshalb keine.
Dem geübten Verkoster kann das egal sein. Er erkennt beim Kosten, ob ein Olivenöl frisch, weil bitter, adstringierend und scharf oder beim Fehlen dieser Attribute eben alt und oxidiert ist.
Und er weiss, dass Öle, die bitter und scharf sind, sich länger halten und in der Pfanne eine geringere Oxidationsneigung haben. Deshalb kann man mit frischem Olivenöl auch so gut frittieren.
(Im Titelbild sehen Sie die Strukturformel von Oleacein. Oleacein wird auf diese bestimmte Weise dargestellt, nicht weil seine Existenz als isolierbare Reinsubstanz bewiesen wäre, sondern weil die chemische Struktur eine hypothetische – aber vielleicht dennoch plausible – Modellvorstellung ist, die ausschliesslich auf analytischen Daten beruht.)


