Für Händler und Konsumenten von Olivenöl ist es essenziell, die Prozesse der Ölproduktion zu verstehen - insbesondere, wenn es darum geht, über die Ölqualität und den -Preis zu diskutieren.
Ein häufig völlig missachteter Punkt ist der Unterschied zwischen dem faktischen Ölertrag (die tatsächlich gewonnene Ölmenge) und dem prozentualen Ölertrag (der Anteil an Öl im Verhältnis zum Fruchtgewicht der Olive). Beide Ertragsarten hängen nicht nur vom Reifestadium der Oliven ab, sondern auch stark vom Wassergehalt, der durch Witterung und Erntezeitpunkt beeinflusst wird. In diesem Beitrag zeigen wir, wie das Zusammenspiel dieser Faktoren den Ertrag und die Qualität beeinflusst und wie Mühlenstrategien die Ernteauswahl leiten.
Die drei Szenarien: Unterschiedliche Bedingungen – unterschiedlicher prozentualer Ölertrag
Zur Veranschaulichung betrachten wir drei Szenarien für die andalusische Picual-Olive, eine beliebte spanische Olivensorte, die nicht für ihre Robustheit und ihren hohen Ölgehalt bekannt ist, sondern die vor allem in den meisten Supermarkt-Olivenölen die vorherrschende Varietät ist.
Die Szenarien zeigen, wie das Verhältnis von Öl- zu Wassergehalt das Ergebnis beeinflusst, auch wenn der faktische Ölertrag – also die tatsächlich gewonnene Ölmenge – in allen Fällen derselbe ist.
Szenario 1: Mitte November, mittelreif und normal wassergesättigt
Reifegrad: Mittelreif, Farbwechsel von grün zu violett
Fruchtgewicht pro Olive: ~3,7 g
Gesamtgewicht der Ernte (1'000'000 Oliven): 3'700 kg
Wassergehalt: Normal
Ölertrag (faktisch): ca. 555 Kilogramm
Prozentualer Ölertrag: ca. 15 %
In diesem ersten Szenario sind die Oliven in einem optimalen Reifestadium und haben einen normalen Wassergehalt. Das Resultat ist ein stabiler, moderater prozentualer Ertrag von etwa 15 %. Das aus diesen Früchten gewonnene Öl ist mittel- bis intensivfruchtig, mit grünlicher Aromatik. Die Verarbeitung ist nicht allzu sehr risikobehaftet, da nicht übermässig Wasser im Gewebe der Frucht enthalten ist, welches die Qualität des Öls beeinträchtigen könnte.
Szenario 2: Mitte November, mittelreif und stark wassergesättigt (nach Regenfällen)
Reifegrad: Mittelreif, Farbwechsel von grün zu violett
Fruchtgewicht pro Olive: ~5,0 g
Gesamtgewicht der Ernte (1'000'000 Oliven): 5'000 kg
Wassergehalt: Hoch
Ölertrag (faktisch): ca. 555 Kilogramm
Prozentualer Ölertrag: ca. 11,1 %
Hier kam es vor der Ernte zu Regenfällen, was zu einem erhöhten Wassergehalt in den Oliven führte. Der prozentuale Ölertrag sinkt auf 11,1 %, da das zusätzliche Wasser das Fruchtgewicht erhöht, ohne den faktischen Ölertrag zu steigern. Öle solcher Ernten können eine mildere Intensität aufweisen. Diese Öle sind weniger komplex. Zudem ist das im Gewebe vorhandene Wasser ein Risiko für die Ölqualität - das Öl sollte - wie immer - umgehend gefiltert werden, um die Lagerstabilität zu verbessern.
Szenario 3: Ende Januar, überreif und dehydriert
Reifegrad: Überreif, schwarz
Fruchtgewicht pro Olive: ~2,8 g
Gesamtgewicht der Ernte (1'000'000 Oliven): 2'800 kg
Wassergehalt: Niedrig
Ölertrag (faktisch): ca. 555 Kilogramm
Prozentualer Ölertrag: 25 %
Im letzten Szenario haben die Oliven überreife Stadien erreicht und sind durch Dehydration leichter geworden. Der prozentuale Ertrag beträgt nun 25 %, da das Verhältnis von Öl zu Fruchtgewicht durch den niedrigen Wassergehalt maximiert wird. Händler und Konsumenten können in diesem Fall ein reiferes, milderes und in den meisten Fällen bereits oxidiertes Öl erwarten, das auch fermentative Noten aufweist. Aber der absolute Ölgewinn bleibt im Vergleich zu den anderen Szenarien unverändert bei 555 Kilogramm.
Was bedeutet das für die Ölindustrie?
Für Mühlen und Kooperativen, die auf maximale Produktionsmengen ausgerichtet sind, wie wir es in Andalusien, der grössten Olivenölerzeugerregion der Welt häufig vorfinden, haben die letzten beiden Szenarien eine besondere Bedeutung. Solche Mühlen und Kooperativen sind an leichten, dehydrierten Früchten interessiert, da sie den Olivenbauern in der Regel weniger bezahlen müssen und weil der prozentuale Ölertrag bei diesen Früchten besonders hoch ist. Leichte, trockene Oliven bieten bei gleichem faktischem Ölertrag höhere Ertrags-Prozentsätze, was die Effizienz der Produktion steigert. Ein grosser Teil des klassischen Supermarktolivenöls wird in diesem Zeitabschnitt - also mit überreifen und vergleichsweise leichten Früchten - hergestellt. Diese Mühlen und Kooperativen haben eine denkbar einfache Aufgabe: Sie müssen sich in der Regel nicht mit der Frage nach dem kritischen Reifezeitpunkt auseinandersetzen. Sie warten einfach ab, bis die Früchte hinüber sind und gewinnen dann ein massetaugliches Öl.
Ölertrag ist nicht gleich Ölertrag
Der prozentuale Ertrag ist also ein trügerischer Parameter. Allerdings bleibt den Olivenbauern und den Mühlen keine andere Messart übrig, gerade, insbesondere weil die gewonnene Menge Öl zu den geernteten Menge an Früchten (die von Jahr zu Jahr und insbesondere in Wachstumsphasen des Olivenbaumes stark variieren kann) in Beziehung gesetzt werden will. Schliesslich zählt niemand die Früchte, sondern ermittelt aufgrund der Einfachheit bloss das Gewicht der abgelieferten Früchte und das Gewicht des daraus gewonnenen Öls.
Das genannte Beispiel mit den drei Varianten verdeutlicht eindrücklich, dass der faktische Ölertrag – also die absolute Ölmenge – bei einer gereiften Olive weitgehend konstant bleibt. Der prozentuale Ölertrag variiert jedoch stark und hängt vom Wassergehalt der Oliven ab.
So oder so gilt: Für qualitativ hochwertiges Olivenöl sollten keine überreifen Früchte verarbeitet werden. Qualitätsproduzenten sehen sich also Jahr für Jahr mit der Aufgabe konfrontiert, den idealen Erntezeitpunkt - in Abhängigkeit von Klima und Wetter - festzulegen.
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