Kein Schweizer Rapsöl ohne Gewässervergiftung – ein krasser Angriff von bezahlten Lobby-Politikern auf unsere Lebensgrundlage.
- Silvan Brun
- 15. Mai
- 6 Min. Lesezeit

Rapsöl – von der Werbung als gesund, nachhaltig und regional verklärt[1][2] – hat in der Realität mehr als eine bittere Nebenwirkung: Es steht im Verdacht, alles andere als gesund zu sein und stattdessen chronische Krankheiten bei den Häufig-Konsumierenden zu begünstigen.[3] Obschon die meisten Konsumenten bislang keinerlei Kenntnis von dieser Gefahr haben, ist Rapsöl jedoch ohnehin nicht sonderlich beliebt. In der Schweiz greifen Konsumenten im Lebensmitteleinzelhandel mit Vorliebe zur Olivenölflasche. So entfällt über ein Drittel des mengenmässigen Absatzes auf das Öl der Olive, während nur gerade 17 Prozent auf das Öl der Rapskerne entfallen.[4] Dass beim Gesamtkonsum Rapsöl die Nase vorne um Längen vorne hat, erklärt sich damit, dass Rapsöl vor allem in der Industrie und in der Gastronomie eingesetzt und so den Konsumenten vorgesetzt wird. Auch in Deutschland zeichnet sich für das einheimische Rapsöl ein düsteres Bild. Zuletzt ist praktisch die gesamte Menge an Rapsöl, die auf den deutschen Feldern resp. in den Raffinerien erzeugt worden ist, in die Herstellung von Biodiesel geflossen.[5] Wie die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP) Ende April 2025 berichtete, wurden in Deutschland im vergangenen Jahr etwa 1.45 Mio. Tonnen Rapsöl zu Biodiesel verarbeitet. Diese Ölmenge entsprach der Förderunion zufolge nahezu der Rapsernte 2024. Aber auch das wird mit Verweis auf "den Energiewandel" schöngeredet. Teller oder Tank – Rapsöl kann's!
Gewässervergiftung durch Pestizide

Damit Rapsöl dem einen oder anderen Verwendungszweck zugeführt kann, muss die Rapspflanze ertragreich angebaut werden können. Aber das funktioniert nur halbwegs gut unter hohem Pestizideinsatz. Und genau hier kollidieren Gesundheitsschutz und Wirtschaftsinteressen. Der in der Schweiz gesetzlich verankerte Schutz der Gewässer gerät nun unter Druck, weil die Industrie nicht erkennen will, dass das Rapsölprojekt in eine Sackgasse führt. Die Rapspflanze, die in ihrer jetzigen Form keine natürliche Spezies ist, kann nämlich ohne intensiven Pestizideinsatz kaum rentabel angebaut werden. Damit sie jene Samen ausbilden kann, aus denen später – meist in einem aufwendigen hochindustriellen Prozess – das Öl extrahiert wird, ist sie von toxischen Pflanzenschutzmitteln abhängig. Der Einsatz solcher Mittel wirkt sich erwiesenermassen aber äusserst negativ auf unsere Gewässer aus, weshalb in der Vergangenheit mehrere Wirkstoffe ihre Zulassung verloren. So in der Schweiz in der jüngeren Vergangenheit etwa Chlorpyrifos (2020), Bifenthrin (2020), Thiacloprid (2021) und Alpha-Cypermethrin (2023) verboten.[6]
Der Grund für diese Verbote war eindeutig: Alle vier Substanzen gelten als hochtoxisch für Wasserorganismen – insbesondere für Fische, Amphibienlarven, Wasserinsekten und Krebstiere. Die akuten und chronischen Toxizitätswerte liegen teils im Nanogrammbereich. Chlorpyrifos etwa ist für manche Fischarten schon bei Konzentrationen von wenigen Tausendstel Mikrogramm pro Liter tödlich, während Bifenthrin als eines der fischtoxischsten Pyrethroide überhaupt gilt. Auch das Neonicotinoid Thiacloprid wirkt in Gewässern verheerend – bereits geringste Rückstände stören das Nervensystem aquatischer Wirbelloser und wirken hormonell auf Fische. Und Alpha-Cypermethrin, das ebenfalls systemisch eingesetzt wird, kann schon in winzigen Mengen das Gleichgewicht ganzer aquatischer Lebensgemeinschaften kippen lassen.
Diese Substanzen wurden verboten, weil sie mit dem Schutz unserer Gewässer nicht vereinbar sind. Wer sie verteidigt oder ihre Rückkehr indirekt vorbereitet, stellt wirtschaftliche Interessen über wissenschaftlich begründete Vorsorge. Und genau das geschieht derzeit – politisch orchestriert, wie ein Vorstoss aus dem Nationalrat exemplarisch zeigt.
Am 6. Mai 2025 verabschiedeten die Mitglieder der grossen Kammer die Motion 24.4589 von Leo Müller (Die Mitte, Luzern). Ziel: Die Gewässerschutzverordnung lockern, damit Pestizide – insbesondere solche, die im Rapsanbau zur Anwendung kommen – nicht mehr so leicht in ihrer Zulassung infrage gestellt werden können. Müller argumentiert mit einer vermeintlich "zu restriktiven Umsetzung" des Gewässerschutzgesetzes und sorgt sich um den Schutz von Kulturen wie Raps, Zuckerrüben und Kartoffeln.[7]
Was nach technischer Anpassung klingt, ist in Wahrheit ein Angriff auf das Vorsorgeprinzip. Der Gesetzgeber hatte sich 2021 – auch im Kontext der abgelehnten Trinkwasser-Initiative – auf eine deutlich strengere Gangart beim Pestizid-Monitoring verständigt. Die geltende Verordnung wurde breit abgestützt – durch Kantone, Wissenschaft, Fachverbände. Und nun? Will Müller die Kriterien aufweichen, bevor überhaupt erste belastbare Daten vorliegen.
Mit Annahmen statt Daten – Pestizidpolitik nach Bauchgefühl
Auf Nachfrage im Nationalrat konnte Müller weder wissenschaftliche Studien noch konkrete Beispiele für seine Forderungen und die damit einhergehenden Behauptungen nennen. Auch seine Warnung, dass "viele ökologische Pflanzenschutzmittel bald wegfallen könnten", blieb unbelegt. Trotzdem gab der Nationalrat grünes Licht – mit 113 Ja-Stimmen, darunter zahlreiche Parlamentarier mit engen Bindungen zur Agrar- und Rapslobby.
Die Abstimmung zeigt ein klares Bild: Die Motion wurde mehrheitlich von der SVP, der Mitte und Teilen der FDP getragen. Dagegen stimmten vor allem SP, Grüne und Grünliberale. Interessanterweise unterstützten viele der Ja-Stimmenden den Gegenvorschlag zur Trinkwasser-Initiative im Jahr 2021 – und hebeln diesen nun schrittweise aus. Ein klassisches Beispiel politischer Rückwärtskorrektur.
Leo Müller – Parlamentarier oder Agrarlobbyist?
Müller, selbst diplomierter Agraringenieur und Jurist, ist nicht irgendein besorgter Volksvertreter, sondern tief in der agroindustriellen Landschaft verwurzelt. Er ist:
Vizepräsident der Schweizer Zucker AG – Zucker aus Zuckerrüben, einer Pflanze, die wie Raps stark pestizidabhängig ist.
Präsident der Suisag AG – Dienstleister für die Schweineproduktion, deren Futter zu einem grossen Teil aus heimischem oder importiertem Raps und Soja besteht.
Präsident der Agrimo AG – ein Unternehmen, das die Verwaltung von Liegenschaften sowie die Verwaltung und Finanzierung von juristischen Personen (wohl Agrarunternehmen) bezweckt.
Mitglied in zwei bäuerlichen Verbänden – Zentralschweizer Bauernbund und Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband.
Mitglied des Aufsichtsrats im Schweizerischen Gewerbeverband – ebenfalls ein lautstarker Befürworter "pragmatischer" Umweltregeln.
Alle genannten Mandate sind bezahlt.[8] Dass ausgerechnet dieser Mann nun vorschlägt, das Monitoring für Pestizide in unseren Gewässern zu entschärfen, lässt sich nicht ohne Interessenkonflikte denken.
Und jetzt auch im Ständerat: Die Strategie der fenaco-Verwaltungsrätin Gapany
Während Müller im Nationalrat vorpreschte, versucht Ständerätin Johanna Gapany (FDP, FR) im Oberhaus die nächste Salve: Mit der Motion 25.3154 fordert sie, dass nicht mehr Zwei-Wochen-Mittelwerte bei der Bewertung von Pestizidrückständen in Gewässern herangezogen werden sollen, sondern Jahresmittelwerte – wie in der EU.[9] Was auf den ersten Blick nach "Harmonisierung" klingt, ist de facto eine massive Verwässerung des Schutzstandards. Denn je länger der Messzeitraum, desto niedriger fällt der Mittelwert aus – akute Belastungsspitzen verschwinden in statistischer Beliebigkeit.
Besonders pikant: Gapany sitzt im Verwaltungsrat der fenaco[10], dem mächtigsten Agrarkonzern der Schweiz, der mit einem Jahresumsatz von 7.29 Milliarden Franken auch in der Produktion und Vermarktung von Pflanzenschutzmitteln involviert ist und einer der grössten Abnehmer und Förderer von Rapsöl ist. Die Nähe zur Agroindustrie könnte also kaum enger sein – Gapany beerbte 2023 übrigens ausgerechnet Leo Müller in eben diesem Verwaltungsratsposten bei fenaco.[11] Wer jetzt noch an unabhängige Politik glaubt, der glaubt auch fliegende Rentiere.
Was das Gesetz heute verlangt – und warum Müllers Motion so brisant ist
Die gesetzliche Lage ist eigentlich klar und das macht die politischen Bestrebungen von Müller und Gapany besonders heikel. Denn die aktuelle Regelung schützt unsere Gewässer bewusst streng, um der ökotoxikologischen Realität von Pestiziden gerecht zu werden.
Gesetzliche Grundlage: Artikel 9 Absatz 3 GSchG
Das Gewässerschutzgesetz verpflichtet den Bund zu handeln, wenn Pestizide oder deren Abbauprodukte wiederholt und verbreitet in Gewässern oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte auftreten:
«Wird ein Grenzwert für ein Pflanzenschutzmittel oder Biozidprodukt oder deren Abbauprodukte in Oberflächengewässern wiederholt und verbreitet überschritten, so ist die Zulassung dieser Stoffe zu überprüfen.»
(Art. 9 Abs. 3 lit. a GSchG)
Falls sich dabei zeigt, dass selbst mit Einschränkungen keine sichere Anwendung möglich ist, muss die Zulassung entzogen werden – ausser der Bundesrat belegt explizit, dass die Inlandversorgung mit Lebensmitteln sonst gefährdet wäre.
Verordnungsstufe: Artikel 48a Absatz 4 GSchV
Die Gewässerschutzverordnung präzisiert, wann eine Überschreitung als "verbreitet" gilt:
«Eine Grenzwertüberschreitung gilt als verbreitet, wenn sie in einem Kalenderjahr in mindestens fünf Kantonen oder in mehr als zehn Prozent der untersuchten Messstellen festgestellt wird.»
Gemessen wird derzeit mit zweiwöchigen Mischproben, die auch kurzzeitige Belastungsspitzen abbilden – etwa nach Regenfällen. Genau das wollen Müller (durch Lockerung der Schwellen) und Gapany (durch Umstellung auf Jahresmittelwerte) ändern. Letzteres würde kritische Belastungsspitzen kaschieren – mit weitreichenden Folgen für aquatische Organismen und letztlich auch das Trinkwasser. Die Folge: Das Monitoring wird "entschärft", bevor es überhaupt zur Anwendung kommt. Das Gesetz bliebe scheinbar intakt – aber die Mechanismen, die es wirksam machen, würden neutralisiert.
Rapsöl: Eine Täuschung von A bis Z
Rapsöl wird als gesund, nachhaltig und natürlich verkauft – in der Gastronomie, in Babygläschen, in Schulmensen, in der Industrie und in der Politik. Doch hinter der Hochglanzfassade steckt eine hochgradig industrialisierte Kultur, die ohne systemischen Pestizideinsatz weder ökonomisch noch ökologisch tragfähig ist. Die Motionen in den beiden Parlamentskammern, angetrieben von Agrar-Lobbyisten, verdeutlichen das einmal mehr.
Quellen:
[1] Gesund & wertvoll; Verein Schweizer Rapsöl VSR; zu finden unter: https://raps.ch/gesund-wertvoll
[2] Vorbildlich nachhaltig; Verein Schweizer Rapsöl VSR; zu finden unter: https://raps.ch/100-regional-produziert/nachhaltigkeits-argumente
[3] SHANAHAN; The energy model of insulin resistance: A unifying theory linking seed oils to metabolic disease and cancer; Frontiers in Nutrition, 29. April 2025, Sec. Nutrition and Metabolism, Volume 12 - 2025; zu finden unter: https://doi.org/10.3389/fnut.2025.1532961
[4] BRUN; Olivenöl. Fast jeder hat's. Fast keiner mag's. Was ist des Geheimnis' Schlüssel?; evoo.expert, 20. Dezember 2020; zu finden unter: https://www.evoo.expert/post/oliven%C3%B6l-fast-jeder-hat-s-fast-keiner-mag-s-was-ist-des-geheimnis-schl%C3%BCssel?
[5] Alles Rapsöl für den Biodiesel; proplanta, 4. Mai 2025; zu finden unter: https://www.proplanta.de/agrar-nachrichten/pflanze/alles-rapsoel-fuer-den-biodiesel_article1746326427.html
[6] BRUN; Rapsöl existiert nur dank Pestiziden; evoo.expert; 10. April 2025; zu finden unter: https://www.evoo.expert/post/raps%C3%B6l-existiert-nur-dank-pestiziden-es-gibt-praktisch-kein-biologisch-produziertes-raps%C3%B6l-mehr?
[7] 24.4589 Motion Müller Leo; Realistisches Monitoring für den Gewässerschutz; Nationalrat Sondersession 5. 2025 Dritte Sitzung, 06.05.25; zu finden unter: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=67884
[8] Interessenbindungen Müller Leo, Nationalrat; zu finden unter: https://www.parlament.ch/de/biografie/leo-m%c3%bcller/4097
[9] 25.3154 Motion Gapay Johanna; Das Schweizer Gewässermonitoring an dasjenige der EU angleichen; 19. März 2025; zu finden unter: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20253154
[10] Interessenbindungen Gapany Johanna, Ständerätin; zu finden unter: https://www.parlament.ch/de/biografie/johanna-gapany/4306
[11] Delegiertenversammlung der fenaco: Johanna Gapany folgt auf Leo Müller; fenaco Corporate Webseite; zu finden unter: https://www.fenaco.com/artikel/delegiertenversammlung-der-fenaco-johanna-gapany-folgt-auf-leo-mueller