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Von Risiken und Nebenwirkungen

Aktualisiert: 16. Apr. 2020

Obwohl auch Olivenölerzeuger als Nahrungsmittelhersteller zu den Grundversorgern gehören und deshalb insbesondere in Spanien und Italien weiterhin offen haben und arbeiten dürfen, blicken nicht wenige von ihnen einer ungewissen Zukunft entgegen. Vor COVID-19 war es für die meisten Produzenten immerhin klar, dass sie sich mit stets fallenden Olivenölpreisen bei mindestens gleich bleibenden Produktionskosten abfinden müssen. Heute allerdings bietet sich insbesondere denjenigen Produzenten, welche sich erfolgreich dem Sog der sich gnadenlos abwärts drehenden Preisspirale entziehen konnten, ein nie geahntes Szenario des Schreckens. Ihre Ernten sind eingefahren, die Produktion bezahlt, die Tanks voll. Nur kaufen will das Öl jetzt niemand. Die Nachfrage nach gutem Olivenöl ist in Zeiten der Corona-Krise eingebrochen. Paradox, die Krise bietet den Produzenten aber auch Grund zur Hoffnung.



Hochwertiges Olivenöl wird in Corona-Zeiten weniger stark nachgefragt (Bild: evoo ag)
Hochwertiges Olivenöl wird in Corona-Zeiten weniger stark nachgefragt (Bild: evoo ag)


«Es gibt Leute, die zwölf Liter Olivenöl kaufen.»

- Felix Meyer, Geschäftsleiter von Migros Luzern im Interview mit der Luzerner Zeitung



Händedesinfektionsmittel sind in diesen Zeiten ein rares Gut. Genauso wie hochwertiges Olivenöl. Allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Nachfrage nach Händereiniger auf Ethanolbasis aktuell sehr hoch ist, gutes Olivenöl heute hingegen kaum jemand kaufen will. Ein Blick in die Regale der Supermärkte bestätigt, dass die Konsumenten jetzt während der Corona-Krise in erster Linie zu 1-Liter-Olivenölflaschen bekannter Marken (etwa Monini und Filippo Berio) greifen und sich auch bei den preisgünstigen Eigenmarken (etwa Coop Naturplan Bio) bedienen. So erklärte der Geschäftsleiter der Migros Luzern, Felix Meyer, am 17.03.2020 gegenüber der Luzerner Zeitung: «[..] Es gibt Leute, die zwölf Liter Olivenöl kaufen. Ich kann es nur mit Nachdruck wiederholen: Für Nachschub ist gesorgt und wir füllen die Regale so schnell wie möglich auf. Es gibt genügend Lebensmittel für alle und es ist unnötig, Notvorräte anzulegen.»


Zu diesem absurden Kaufverhalten führte die Tatsache, dass sich die Menschen infolge der medialen Schlagzeilen-Kommunikation rund um das Corona-Virus in einem Überlebenskampf wähnten und sich entsprechend auf das Schlimmste - notabene noch bevor die erste Corona-Infektion in der Schweiz publik wurde - vorbereiteten. Sie kauften kostengünstige haltbare Lebensmittel in Form von Trockenteigwaren, Mehl, stärke- und fetthaltige Fertigmahlzeiten, Dosentomaten sowie Öl, Salz, Zucker und Hefe, und ebenso deckten sie sich mit Hygieneartikeln wie Toilettenpapier, Haushaltspapier und Reinigungsmittel ein. Im Schweizer Detailhandel stiegen die Verkäufe von Mehl in den Kalenderwochen 6 bis 9 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 37 Prozent. Der Absatz von Trockenteigwaren nahm um 32 Prozent, jener von Reis und Kartoffelstock um 31 Prozent und derjenige von Konserven um 30 Prozent zu. Aber auch Öl wurde mehr gekauft, hier steigerte sich der Verkauf um einen Viertel (siehe Grafik von Nielsen). Was man hat, hat man, dachten sich viele. Erst mit der offensiven Kommunikation der Detailhändler, dass die Versorgung der Schweizer Bevölkerung gewährleistet sei, reduzierten sich die Hamsterkäufe wieder. Und trotzdem, Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen sagte am 30.03.2020 gegenüber der Luzerner Zeitung: «Unsere eigene Pasta-Produktion beispielsweise arbeitet rund um die Uhr und stellt jeden Tag über 100 Tonnen Teigwaren her.»





Migros, Manor, Coop - Olivenöle zum Niedertarif haben Saison

Nun, zwölf Liter Olivenöl reichen dem durchschnittlichen Schweizer Haushalt, der 2.23 Personen umfasst, gut und gerne zweieinhalb bis drei Jahre. Selbst wenn die Menschen in der Schweiz in dieser apokalyptisch anmutenden Epoche einen deutlich grösseren Teil ihrer Zeit kochend am eigenen Herd verbringen dürften - was aufgrund der zurzeit immer noch massenweise verkauften Dosenravioli aber durchaus in Frage gestellt werden kann - würde der gross angelegte Migros-Olivenöl-Vorrat vermutlich länger als ein ganzes Jahr reichen. Zwölf Liter Olivenöl kosten bei Migros zwischen 49.20 und 379.20 Franken, wobei das M-Budget Vergine Olivenöl in der 1-Liter-PET-Fasche für 4.10 Franken das günstigste Produkt ist und die in der Regel - wenn nicht überlagert - sehr guten Monini Monocultivar Bio-Olivenöle sowie das Monini IGP Toscano Olivenöl für jeweils 15.80 Franken pro Halbliterflasche die teuersten Angebote darstellen. Ein Blick auf die Olivenölregale der Migros verrät uns, dass die teureren und in der Regel deutlich besseren Olivenöle jetzt allerdings kaum nachgefragt werden. In der Not ein paar Flaschen Lampenöl, wer weiss, wann sie uns den Strom abdrehen. Immerhin zählen Kerzen nicht zu den Artikeln der Grundversorgung, sonst dürfte IKEA auch offen haben. Ähnlich verhält es sich bei Manor Food, welcher in der Corona-Krise ein Heimlieferservice-Angebot von rund 500 Gütern des täglichen Bedarfs lanciert hat. Im "Produktkatalog für Hauslieferung" bietet der Basler Detailhändler fünf verschiedene Olivenöle zu Literpreisen zwischen 13.60 und 23.80 Franken an, wobei Monini Classico den Einstieg markiert. Zwei Produkte aus dem Angebot sind Eigenmarken, zwei weitere gehören zur Hausmarke Il Viaggator Goloso. Qualitätsprodukte fehlen im Katalog hingegen gänzlich. Bei Coop - ebenfalls aus Basel - setzt man beim Olivenöl im Rahmen der "Wochenend Knaller Aktion" diese Tage auf eine Preisoffensive. Einen Liter natives Olivenöl extra der Eigenmarke Castello Don Felipe bietet die Detailhändlerin für 5 statt für 9.95 Franken zum Kauf an. Satte 49 Prozent billiger! Das Wort "Knaller", so der Duden, bedeutet, dass es sich dabei um etwas handelt, was sehr begehrt ist, grossen Anklang findet, sich grosser Nachfrage erfreut. Knaller sind einfach ausgedrückt Verkaufs- und Kassenschlager.





Reductio ad absurdum - die orangen Riesen kommunizieren grauenhaft

Zwölf Liter Olivenöl. Felix Meyer von der Migros Luzern sollte sich über diesen Hamsterkauf eigentlich freuen. Die seit Tagen über die TV-Bildschirme des Landes laufende und von den Marketingverantwortlichen des MGB orchestrierte Monini-Olivenöl-Werbung hat ihr Ziel erreicht. Öffentlich gegensätzliche Kommunikation zu Krisen-Zeiten? Die Migros kennt keine Gnade. «Kauft bitte, kauft», schreit die eine Werbung, die uns im wohl unpassendsten aller möglichen Momente, in Zeiten von "Social Distancing", eine italienische Tavolata mit fröhlicher Gesellschaft vorgaukelt. «Haltet euch zurück, tätigt keine Hamsterkäufe», mahnt die andere Anzeige, die von der IG Detailhandel, bei welcher zwei der drei Mitglieder zum Migros-Genossenschafts-Bund gehören, organisiert wurde. Eine dritte Kommunikation, ein erneutes Gemeinschaftsprojekt von MGB und Coop, fordert die "geschätzte Kundschaft" auf, vor der Filiale sowie in der Filiale einen Abstand von zwei Metern zu Mitmenschen einzuhalten. Nix mit Tavolata. Nix mit Grillparty. Нет (nʲet).


Schwierige Perspektive für Qualitätsproduzenten

Während Coop & Co. minderwertige Olivenöle an Mann und Frau bringen, geraten die Produzenten von qualitativ hochwertigem Olivenöl immer stärker unter Druck. Sie können ihr Olivenöl kaum mehr absetzen. Die Nachfrage ist zusammengebrochen. In Italien genauso wie in Deutschland oder in der Schweiz. Immerhin, einige von ihnen, die den asiatischen Markt bedienen, haben Glück, asiatische Importeure haben sich in den letzten Wochen zünftig eingedeckt, da diese aufgrund von Spaniens und Italiens drastischen Viruseindämmungsmassnahmen befürchteten, kaum mehr an Olivenöl zu kommen. Was man hat, hat man. Vielerorts scheint sich für die Produzenten aber ein Drama abzuzeichnen. Ihre Ernten, die sie im Herbst vergangenen Jahres eingefahren und bezahlt hatten, bleiben jetzt in ihren Tanks liegen. Damit fehlen ihnen die dringend notwendigen Erlöse, um den laufenden Betrieb aufrechterhalten zu können. Denn die Olivenölproduktion konzentriert sich nicht lediglich auf das letzte Quartal des Jahres, wenn üblicherweise die Oliven geerntet und zu Öl verarbeitet werden, sondern erstreckt sich mehr oder weniger über das ganze Jahr. So sind jetzt Feldarbeiten wie Düngung und Baumschnitt angesagt, was arbeits- und bei grösseren Betrieben entsprechend personalintensiv ist.




«Wir sähen uns gezwungen, das Öl 50 Prozent unter den Produktionskosten an Abfüller oder Zwischenhändler zu verkaufen.»

- italienischer Spitzenolivenölerzeuger



Um zu erfahren, wie es ihnen geht, habe ich diese Tage oft mit Olivenölerzeugern telefoniert. Es trifft vor allem die selbständigen Produzenten, die nicht angestellt sind, nicht für Kooperativen arbeiten und die ihr Öl nicht offen (bulk) verkaufen, hart. Während einige Spitzengüter von Investoren mit langfristigen Visionen gehalten werden und in der Regel kein Risiko haben, wegen Corona unterzugehen, sind es die klassischen Bauernbetriebe und Kleinerzeuger, welche für die Umsatzausfälle aus eigener Tasche aufzukommen haben. Kredite sind zwar eine kurzfristige Option, verlagern aber den Liquiditätsengpass lediglich in die mittelfristige Zukunft, wenn die Kredite zur Rückzahlung fällig werden. Denn, das Olivenöl, das heute nicht abgesetzt wird, verkauft der Produzent morgen nicht in doppelter Menge. Eine ebenso wenig ermutigende Möglichkeit wäre es, das in den Tanks liegende Olivenöl offen an Händler weiterzuverkaufen, um so immerhin an etwas Liquidität zu kommen. Aber auch das ist lediglich eine Verlagerung des Liquiditätsproblems. Die in diesem Fall gelösten Erträge könnten wohl kaum die Kosten decken. Keine Frage, die Olivenölerzeuger brauchen jetzt Aufträge, sie müssen ihr Öl zu angemessenen, zumindest halbwegs kostendeckenden Preisen absetzen können, sonst könnte ihnen der wirtschaftliche Untergang drohen.



Olivenernte in Sardinien (Bild: Shutterstock)
Olivenernte in Sardinien (Bild: Shutterstock)


Ein Spitzenerzeuger aus Mittelitalien antwortete mir vor ein paar Tagen auf die Frage, was das schlimmste anzunehmende Szenario angesichts der sich immer mehr ausbreitenden Corona-Pandemie wäre: «Ganz einfach. Wenn wir das jetzt in den Tanks liegende Öl bis zum Sommer nicht verkaufen könnten, sähen wir uns gezwungen, alles offen 50 Prozent unter unseren Produktionskosten an Abfüller oder Zwischenhändler zu verkaufen.» Das kann sich der Produzent aber nicht leisten, er würde in eine ungemütliche Abhängigkeit von Banken oder anderen externen Geldgebern geraten. Was könnten für ihn und viele Hundert weitere Olivenölproduzenten mögliche Auswege sein? Ich weiss es nicht.


Der Weg ist das Ziel, das werden wir begreifen müssen

Wahrscheinlich ist nur, und darin schöpfen die Produzenten Hoffnung, wenn ich mit ihnen darüber spreche, dass die Menschen zukünftig der Qualität von Produkten und Lebensmitteln wieder mehr Bedeutung beimessen werden. Kleine, vor der Krise ganz alltägliche Dinge werden mehr Beachtung erfahren. Die wunderschöne Blume am Wegrand, der über dem Acker schwebende majestätische Rotmilan, das freundliche Hallo der Nachbarin, der persönliche Kontakt mit dem Paketboten oder der Gang ins wiedereröffnete Gartencenter. Diese vielen einzelnen Eindrücke werden stark auf uns einwirken und dazu führen, dass wir unser Leben umsichtiger gestalten werden. Alles bekommt einen neuen, nie dagewesenen Wert. Es wird nicht mehr darum gehen, schnell von A nach B zu kommen und die dazwischen liegende Reise möglichst auszuschalten, sondern wir werden stattdessen begreifen, dass der Weg das Ziel ist. Oder wie es Alan Watts gesagt hätte «the fun of the journey is to travel». Es wird nicht mehr trendy sein, in einem schicken Restaurant, welches die extravagantesten Speisen - aus Rohstoffen hergekarrt aus aller Welt - in vier Gängen zu je 50 Franken serviert, essen zu gehen, um gesehen zu werden. Nicht mehr das Erreichen von etwas wird erstrebenswert sein, sondern das Tun. Entsprechend werden wir Produkte und Lebensmittel mit ideellen Werten, mit Geschichten und Seelen wieder zu schätzen wissen. Und, hochwertige Olivenöle zählen definitiv dazu. Sie sind handwerkliche Meisterwerke, produziert von Ausnahmekönnern, die eine viele Jahrhunderte alte Kulturpflanze pflegen und der Natur wie auch uns dadurch Gutes tun.


Also, im schlimmsten Fall die Öldepots doch an Abfüller verkaufen, die Liquidität mit einem Darlehen sichern und auf einen Schuldenschnitt in naher Zukunft hoffen? COVID-19 hat allen Widrigkeiten zum Trotz viele positive Nebenwirkungen, keine Frage. Flora und Fauna spüren diese quasi unmittelbar, während es uns Menschen langsam aber sicher dämmert.



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