3-Euro-Olivenöl aus der Türkei überschwemmt das europäische Festland
- Silvan Brun
- vor 5 Tagen
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Italienische Verbände berichten, dass die Olivenölimporte aus Drittländern 2025 um 64 % gestiegen sind. Während natives Olivenöl extra aus Apulien 9 €/kg erzielt, drängen Rohöle aus Nordafrika und der Türkei für unter 3 €/kg in die EU. Missbrauchspotenzial bietet das "aktive Veredelungsverfahren": Es erlaubt zollfreien Import zur Weiterverarbeitung und Wiederausfuhr – doch in der Praxis bleiben solche Öle teils im Binnenmarkt und gelangen als europäische Ware in den Handel.
Der italienische Bauernverband Coldiretti und das Konsorzium der italienischen Olivenbauern Unaprol haben dieser Tage auf ein besorgniserregendes Phänomen hingewiesen, wie auf Olivo News, der Olivenölinformationsseite des Mühlenherstellers Pieralisi, zu lesen ist: Demnach sei der Import von Olivenöl aus Drittländern in den ersten sieben Monaten des Jahres 2025 gegenüber der Vorjahresperiode um 64 % gestiegen.
Trotz sehr hohen Produktionskosten und historisch niedrigen Lagerbeständen wird italienisches natives Olivenöl extra derzeit lediglich für rund 9 € pro Kilogramm gehandelt – ein Wert, der angesichts der gegenwärtigen Situation eher zu tief liegt.
Gleichzeitig gelangen jedoch aus Drittländern billige Importöle als Rohware zu Preisen unter 3 € pro Kilogramm auf den europäischen Markt. Diese Dumping-Ware setzt die Öl-Preise in Italien und Spanien massiv unter Druck und droht, den Markt zu verzerren.
Coldiretti und Unaprol vermuten unlautere Absprachen und fordern die EU-Kommission auf, Verstösse gegen Wettbewerbs- und Antitrust-Regeln zu prüfen. Besonders im Fokus stehen verdächtige Warenströme aus Nordafrika und der Türkei, die über Spanien in die EU gelangen könnten – teils mit manipulierten Herkunftsangaben. Das ist nicht überraschend, ist es doch die Türkei, die in der abgelaufenen Erntekampagne zum zweitgrössten Olivenölerzeuger der Welt aufstieg.
«Wir beobachten auffällige Bewegungen von Olivenöl aus Drittstaaten, das zu Dumpingpreisen wieder auf dem EU-Markt landet und die gesamte Wertschöpfungskette verzerrt»,
sagt David Granieri, Präsident von Unaprol und Vizepräsident von Coldiretti. «Es braucht Transparenz, gleiche Regeln für alle und Schutz für ehrliche Produzenten.»
Das "aktive Veredelungsverfahren" als Schlupfloch für Betrug
Das von Granieri kritisierte System hängt eng mit dem sogenannten aktiven Veredelungsverfahren (perfezionamento attivo) zusammen – einem zollrechtlichen Instrument der EU, das ursprünglich für die industrielle Weiterverarbeitung gedacht war. Es erlaubt Unternehmen, Waren aus Nicht-EU-Ländern zoll- und steuerfrei zu importieren, sofern diese nach der Verarbeitung wieder ausgeführt werden.
Im Olivenölsektor hat sich daraus ein Schlupfloch entwickelt, durch das listige Ölmischer gerne hindurchhuschen: Ein Händler kann Olivenöl aus Tunesien oder der Türkei importieren, es in der EU filtern, mischen oder umfüllen und anschliessend illegalerweise als "EU-Produkt" weiterverkaufen, obschon er es als exEU-Öl oder zumindest als Mischung von Olivenölen aus der EU und von ausserhalb der EU wieder aus dem EU-Raum ausführen müsste. Da kein einheitliches europäisches Rückverfolgungssystem für Olivenöl existiert, bleibt oft unklar, ob das importierte Öl den EU-Binnenmarkt tatsächlich wieder verlassen hat oder unter neuem Etikett einfach als EU- oder gar italienisches Öl innerhalb der Union weiterverkauft wurde.
Keine Frage, dieses "aktive Veredelungsverfahren" begünstigt Preisverzerrungen und gefährdet die Glaubwürdigkeit von Herkunftsangaben. Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass gesetzlich nur wage definiert ist, was als Veredelung gilt – in der Praxis genügt offenbar eine minimale Bearbeitung wie eine Filtration oder ein Mischen. Ziemlich einfach also, Öl aussereuropäischen Ursprungs in die EU-Kette einzuschleusen.
Fehlende Rückverfolgbarkeit als systemische Schwachstelle
Geht es nach den Verbänden Coldiretti und Unaprol lässt diese juristische Regel sehr weite Spielräume für Umgehungsgeschäfte. Während Italien über ein "Registro Telematico dell’Olio" verfügt, das jede Produktions- und Bewegungscharge digital erfasst, fehlt in Spanien und anderen Ländern ein vergleichbares Instrument.
So gelangt Olivenöl aus Ländern wie Tunesien, der Türkei oder Marokko über Zwischenstationen innerhalb der EU in den Handel – und erscheint dort faktisch als europäisches Erzeugnis, obwohl es aussereuropäischen Ursprungs ist.
Coldiretti und Unaprol fordern daher die Einführung eines EU-weiten Registers zur Rückverfolgbarkeit von Olivenöl, das Lieferketten in Echtzeit überwachen und Betrugspraktiken verhindern kann.
In einer Phase, in der die neue Erntekampagne in Apulien, Italiens mit Abstand grösster Erzeugerregion, gerade erst beginnt, geraten italienische Produzenten durch diese Preisverzerrungen jedenfalls massiv unter Druck.
Wer Qualität will, muss sich darum bemühen
In einem Markt, der von industriellen Blends dominiert wird, kann nur absolute Nachvollziehbarkeit den Wert von Herkunft, Qualität und Handwerk sichern. Und es sind die Käufer und Verbraucher, die sich um diese Nachvollziehbarkeit bemühen müssen.
