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Warum es "die italienische Küche" nicht gibt. Eine Kritik an der Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Spaghetti alla Bolognese. Im Ausland typisch italienisch. (Bild: Pexels, Klaus Nielsen)
Spaghetti alla Bolognese. Im Ausland typisch italienisch. (Bild: Pexels, Klaus Nielsen)


So ehrenvoll die jüngste Entscheidung der UNESCO, welche die italienische Küche als Weltkulturerbe anerkannt hat, auf den ersten Blick wirkt – sie beruht auf einer Vereinfachung, die einer genaueren Betrachtung keineswegs standhält.


Eine italienische Nationalküche gibt es nicht. Was es gibt, sind unzählige Küchen: regionale, lokale, oft dörfliche Ausprägungen, jede mit eigenen Rohstoffen, eigenen Veredelungs- und Zubereitungstechniken und – daraus resultierend – eigenen geschmacklichen Ordnungen. Wer Italien kennt, weiss das.


Die Küche des Aostatals hat mit jener Siziliens kaum mehr gemeinsam als die heutige Landesgrenze. Zwischen den Dolomiten und dem Salento, zwischen Ligurien und Apulien unterscheiden sich nicht nur einzelne Gerichte, sondern grundlegende kulinarische Prinzipien: Welche Fette verwendet werden, wie gekocht wird, welche Getreide dominieren, welches Gemüse verfügbar ist, welche Formen der Haltbarmachung sich entwickelt haben. Olivenöl, Butter oder Schmalz waren nie ideologische Entscheidungen, sondern historisch-klimatische Notwendigkeiten.


Genau darauf weist der italienische Historiker Alberto Grandi in seinem Buch "La Cucina Italiana non esiste" hin. Die sogenannte italienische Küche ist kein über Jahrhunderte gewachsenes, einheitliches kulinarisches System. Sie ist vielmehr eine nachträgliche Erzählung, entstanden im Zuge der Nationalstaatsbildung, der Urbanisierung und der Migration – später verstärkt durch Tourismus und Exportmärkte. Eine Konstruktion, die Identität und Uniformität suggeriert, nicht aber die tatsächliche kulinarische Realität abbildet.



Auch die "Mediterrane Ernährung" ist ein Konstrukt

Dasselbe Missverständnis begegnet uns bei der sogenannten Mediterranen Ernährung. Auch sie wird gerne als historisch gewachsene, homogene Ernährungsform dargestellt, als bildeten die Gebiete rund um das und im Mittelmeer einen kulturell und kulinarisch einheitlichen Raum.


Wer jedoch ernsthaft behauptet, Menschen in Antalya, Marseille und Valencia hätten sich historisch vergleichbar ernährt – und täten dies bis heute –, blendet Geografie, Geschichte, Religion und Landwirtschaft vollständig aus. Oder wenn man es weniger diplomatisch formuliert: Dieser Jemand hat sich mit der Realität nie ernsthaft beschäftigt.


"The Mediterranean Diet" – bewusst mit grossem D geschrieben – ist keine Beschreibung, sondern eine Marke. Und Markennamen darf man gross schreiben. Sie entstand im 20. Jahrhundert, nicht aus ethnologischer Beobachtung, sondern aus ernährungswissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Interessen.


Eine zentrale Rolle spielte dabei die US-amerikanische NGO Oldways, deren Aktivitäten über Jahre hinweg auch vom damaligen International Olive Oil Council (IOOC) – heute IOC – mitfinanziert wurden. Olivenöl brauchte ein positives, gesundheitsbezogenes Narrativ für den Weltmarkt. Die Mediterrane Ernährung lieferte es. Für den Lobbyverband IOC war das ideal.


Das Resultat dieser Kampagne ist ein idealisiertes Ernährungsmuster, reduziert auf wenige Bausteine, losgelöst von saisonalen Zwängen, regionalen Unterschieden und historischen Lebensrealitäten.


Wie oft hört und liest man heute von der Mediterranen Ernährung als Garant für Gesundheit und Langlebigkeit? Dieses Narrativ ist das Produkt einer geschickt gestrickten Illusion.



Küchen sind örtlich geprägt

Sowohl "La Cucina Italiana" als auch "The Mediterranean Diet" funktionieren hervorragend als Kommunikations- und Marketingbegriffe. Sie sind eingängig, international verständlich und politisch nutzbar. Doch sie sind keine Küchen im eigentlichen Sinn.


Küchen entwickeln ihre Identität nicht entlang von Landesgrenzen, sondern aus Bedingungen: Boden und Klima, Verfügbarkeit und Mangel, Religion, Handel, Migration, handwerklichem Wissen – ebenso aus ethischen, moralischen und gesellschaftlichen Strömungen.


Küche ist lokal, grundsätzlich wandelbar und damit zwangsläufig widersprüchlich. Genau darin liegt ihre Essenz. Wer Küche national oder gar supranational vereinheitlicht, verliert das Mikro, aus welchen das vermeintliche Makro überhaupt erst entsteht.

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