Längst nicht alle Marktteilnehmer haben ehrenwerte Absichten - das gilt für viele Branchen, insbesondere auch für die Lebensmittelsparte. Hier sei im Speziellen der Olivenölsektor erwähnt. Wenn wir in Internetsuchmaschinen nach "Olivenölbetrug" suchen, finden wir zahlreiche Ergebnisse zu aktuellen und vergangenen Betrugsfällen rund um Olivenöl. Das macht einem klar: "Olivenöl" ist ein Hochrisikoprodukt, was seine Authentizität und Qualität angeht. Ist die Ware gar gefälscht, geht von ihr erhebliches Risiko für die Gesundheit der Konsumenten aus. Es sei an den spanischen Olivenölskandal der 1980er Jahre erinnert. Ob man in diesem Zusammenhang von Olivenöl-Mafia sprechen kann, fragen Sie? Ja.
71 Tonnen einer "öligen Substanz" haben die Behörden Süditaliens vor wenigen Tagen in Apulien sichergestellt.[1] Eine ölige Substanz, aus der Olivenöl erster Güteklasse hätte werden sollen. Fälscher hatten es im Wissen, dass Küchenchefs und Food & Beverage Manager oft nur über den Preis entscheiden, was in die Küche kommt, mit Billigöl auf den Gastronomie-Sektor abgesehen. Unklar blieb zunächst, wie viel dieser ungeniessbaren Ware das illegale Mischlabor schon verlassen hatte.
Operation OPSON: Im Herbst letzten Jahres 260'000 Liter konfisziert
Apulien. Ein Einzelfall? Mitnichten. Bereits vor dem Jahresende 2023 hatten spanische und italienische Behörden im Rahmen der Operation OPSON 260'000 Liter ungeniessbares Olivenöl, das als Extra Vergine deklariert war, sichergestellt.[2]
Und zu Beginn des Jahres 2024 wurde bekannt, dass 50 römische Gaststätten sich falsches Olivenöl Extra Vergine - bestehend aus Sonnenblumenöl, Chlorophyll und Beta-Carotin - haben andrehen lassen.[3] Der Ursprung dieses "Olio falso"? Natürlich. Apulien.
Die Ermittler der Nuclei Antisofisticazione e Sanità (N.A.S.) dei Carabinieri, welche damals ein apulisches Hinterhoflabor als Quelle aushob, gingen davon aus, dass "Rom" mit 50 Gaststätten, die ihren Gästen gefälschtes Olivenöl verkauften, nur die Spitze des Eisbergs war.
Sie sollten Recht behalten.
Erneut wird Apulien zum Schauplatz des Olivenöl-Verbrechens. 71'000 Liter einer "öligen Substanz" wurden sichergestellt, nachdem bereits vor Wochenfrist - ebenfalls in Apulien - bereits 37'000 Liter gefälschtes, bereits abgepacktes Olivenöl und relevante Einrichtung zum Mischen, Abfüllen und Verpacken beschlagnahmt wurden.[4]
Mit über 100'000 Litern hätte sich während eines gesamten Jahres über 150 kleine bis mittlere Gastronomiebetriebe beliefern lassen. Den Fälschern hätte dabei ein Gewinn von fast 900'000 Euro gewunken (Literkosten von 1.10 € für die Rohwaren und Verpackungen; Verkaufserlös von 10 € pro Liter). Dabei muss festgehalten werden, dass die Öffentlichkeit bislang nicht weiss, ob die Fälscher bereits erfolgreich Ware absetzen konnten.
Hohe kriminelle Energie der Fälscher
Wer ein sensorisch nicht einwandfreies Olivenöl als Extra Vergine ausgibt, handelt nicht korrekt. Viele Akteure tun genau das, weil sie es nicht besser wissen (zum Beispiel einfache Landwirte, Müllner oder Händler). Einige tun's, weil sie's haargenau wissen (beispielsweise zahlreiche Grossabfüller und Grossverteiler). Und wiederum einige tun es, weil sie felsenfest in Treu und Glauben von der Güte ihres Öls überzeugt sind (Kleinerzeuger und spezialisierte Händler). Diese unterschiedlichen Ausgangslagen eint jedoch die Tatsache, dass ein natives Olivenöl mit leichten sensorischen Fehlern aus ernährungsphysiologischer Sicht keinem Konsumenten schaden kann.
Ganz anders ist die Geschichte bei den Olivenölfälschern. Sie bringen eine hohe kriminelle Energie auf, um das zu tun, was eben dokumentiert wurde: Lebensmittel zu fälschen. Die Banden setzen dabei meist auf pflanzliche Öle dubioser Herkunft und noch schlimmerer Qualität. Nicht selten handelt es sich schlicht und ergreifend um Industrieöle. Billig muss es sein. Bestenfalls soll der Liter davon deutlich weniger als einen Euro kosten. Leichtfertig in Kauf genommen wird dabei, dass die Konsumenten, die das gefälschte Öl zu sich nehmen, gesundheitliche Nachteile erleiden oder sogar ums Leben kommen. Hier sei an Spaniens bislang grössten Lebensmittelskandal, der sich in den frühen 1980er Jahren zutrug, erinnert. Fälscher brachten gepanschtes Rapsöl für den Industriegebrauch als billiges „Olivenöl“ auf den Markt. Tausende Menschen starben.[5]
Wenn wir die aktuellen Olivenölbetrugsfälle in Apulien mit dem spanischen Olivenölskandal der 1980er Jahre in Beziehung setzen, macht das deutlich, dass es sich heute keineswegs nur um Etikettenschwindel handelt. Es ist höchste Gefahr für Leib und Leben derer in Verzug, die das gefälschte Gebräu zu sich nehmen. Und, da wir wissen, dass es bereits anfangs Jahr römisches Gastronomen gab, die gefälschte Ware untere die Touristen brachten, ist damit zu rechnen, dass nach wie vor eine riesige Menge ungeniessbares Öl - deklariert als Olivenöl Extra Vergine - im Umlauf ist.
Der Olivenölkauf muss Vertrauenssache sein. Alles andere ist unvernünftig und unter Umständen gar sehr gefährlich
Der klassische Supermarktkunde dürfte beim Verzehr des von ihm erstandenen Öls mutmasslich weniger gefährdet sein, als wenn er sich auswärts verpflegt. Viele Gastronomen setzen für besonders billige Produkte häufig auf zweifelhafte Quellen. Zudem haben die Gastronomen im Fall von Olivenöl keinerlei Möglichkeit, die Qualität und die Echtheit des Produktes verifizieren oder falsifizieren, geschweige denn, das Produkt bis an den Ursprung zurückverfolgen zu können. Den meisten fehlen das dazu notwendige Wissen sowie die relevanten Papiere. Nicht wenige Gastronomen sind ausserdem der fragwürdigen Ansicht, dass der Gast - oder noch schlimmer der Patient (ich hatte neulich einen Küchenchef einer psychiatrischen Einrichtung am Telefon, der meinte, er hätte aus Preisgründen zu einem anderen Lieferanten gewechselt und weiter, dass die Patienten den Qualitätsunterscheid sowieso nicht bemerken würden) - die vermuteten Nuancen zwischen einem Billigöl und einem echten Extra Vergine insbesondere bei warmen Gerichten sowieso nicht herausschmecken könne. «Guten Appetit!!», kann ich da nur sagen und kopfschüttelnd von dannen ziehen.
Die Geprellten sind zweifelsohne diejenigen, die im Restaurant Geld für diesen Betrug ausgeben.
Im Dezember 2023 warnte ich im Rahmen der Preiserhöhungskommunikation in einem Brief an die Foodservice-Kundschaft von evoo ag wegen der grossen Preisdifferenz zwischen Samenölen und Olivenöl vor Olivenölbetrug. Ein Grossteil der Kundschaft - so etwa das Haus Hiltl in Zürich oder das Luzerner Kantonsspital, um zwei prominente Adressen zu nennen - gewichtete das Sicherheitsinteresse höher als den isolierten Produktpreis. Dieser Grossteil der evoo-Foodservice-Kundschaft setzt weiterhin auf qualitativ hochwertiges und zu jeder Zeit rückverfolgbares echtes natives Olivenöl extra. Ihm ist die Sicherheit seiner Gäste oberstes Gebot.
Der Olivenölsektor ist anfällig für Fälschungen
Olivenöl gilt weltweit als eines der am häufigsten gefälschten Lebensmittel. Der letzte verfügbare Jahresbericht zum "The EU Agri-Food Fraud Network" ist jener aus dem Jahr 2020. Er listet Olivenöl als Produkt mit den meisten Nichtkonformitäts-Meldungen auf.[6]
Olivenöl wird dann gefälscht, wenn der Marktpreis für Olivenöl höher ist als jener für Öle aus Ölsaaten. Gerade jetzt, wo Samenöle vergleichsweise billig und Olivenöl sehr teuer ist, winken Fälschern hohe Gewinnspannen. Der Etikettenschwindel, im Rahmen welches minderwertiges Olivenöl - zum Beispiel Lampenöl (Sachbezeichnung Lampantöl) - als Olivenöl Extra Vergine ausgegeben wird, findet praktisch immer statt. Also dann, wenn
der Preis für Olivenöl generell (zu) niedrig ist, und die Marktpreise für Extra Vergine die Produktionskosten nicht zu decken vermögen (Jahre 2019 bis 2021);
der Preis für Olivenöl im historischen Vergleich sehr hoch ist, und Schummler mit vergleichsweise wenig Aufwand erzeugtes Lampantöl zu einem hohen Preis als Extra Vergine gekennzeichnet absetzen können;
die Preisdifferenz zwischen Extra Vergine und Lampantöl sehr gering ist;
die Preisdifferenz zwischen Extra Vergine und Lampantöl sehr gross ist.
In einer Saison, in welcher die klimatischen Bedingungen zu einer insgesamt schlechten Qualität geführt haben, ist Lampantöl im Überfluss erhältlich. Entsprechend wird es ohne Scham als Extra Vergine vermarktet. Von in Gastronomie-Abholmärkten erstandene und anschliessend verkostete Olivenöle offenbaren: Es wird betrogen, was das Zeug hält. Lampantöle werden massenweisen als "erste Güteklasse" feilgeboten. Und, das Schlimme ist: Die Ware wird gekauft. Von rücksichtslosen Gastronomen. Die Geprellten sind zweifelsohne diejenigen, die im Restaurant Geld für diesen Betrug ausgeben.
«Du musst mir ein Öl liefern, dass wenigstens annähernd an ein Extra Vergine herankommt. Dieses Öl hier ist mir viel zu risikoreich.” Valpesanas Chef Fusi liess Salvadori allerdings abblitzen und erwiderte: “Du weisst ganz genau, was Du für 1.88 Euro kaufst.»
Die heutige Olivenöl-Mafia
Die Olivenöl-Mafia wird heute sowohl als einflussreiches Konglomerat verstanden, das die Warenströme mit Billigung der Behörden kontrolliert, als auch Überbegriff für zahlreiche voneinander isolierte kleinere kriminelle Netzwerke verwendet, die Olivenöle in Hinterhöfen in vergleichsweise geringen Mengen fälschen. Ob man auch die klassische Abfüll-Industrie unter dem Oberbegriff "Olivenöl-Mafia" verzeichnen sollte, wollen Sie wissen? Nun, zahlreiche Abfüllbetriebe, ja bereits ölerzeugende Kooperativen, führen illegale Operation durch. Wenn sie etwa Olivenöle zweiter Güteklasse zu erstklassigem Olivenöl deklarieren. Wenn sie aus tunesischem Öl italienisches machen oder wenn sie Lampantöl soft desodorieren und es anschliessend als Extra Vergine auf den Markt bringen. Diese Praktiken geschehen, während Sie diese Zeilen lesen. Und nur in den seltensten Fällen schreiten die Behörden ein. Insofern können viele Protagonisten der Industrie unter dem Begriff "Olivenöl-Mafia" zusammengefasst werden.
Unvergessen bleibt in letzterem Zusammenhang etwa der Fall Azienda Olearia Valpesana, der 2014, als er vom stern gecovert wurde, auch im deutschsprachigen Raum für Aufsehen sorgte. Unter anderem soll die deutsche Lebensmitteleinzelhandelskette Rewe ihren Kunden gepanschtes Öl der Azienda Olearia Valpesana verkauft haben. Rewe bezog das Öl, welches unter Rewes Eigenmarke verkauft wurde, vom Grossabfüller Oleificio Salvadori. Dieser wiederum hatte die Rohware von der Azienda Olearia Valpesana gekauft. Bei der Durchsuchung der AOV stiessen die Ermittler auf konkrete Ölmischanweisungen für ein Rewe-Olivenöl Salvadoris. Acht verschiedene Öle, wovon einige Lampantöle aus Spanien waren, wollte Salvadori, vereint in einem fertigen Gemisch, seinem Kölner Kunden Rewe unterjubeln. Ob diese Mixtur tatsächlich in den Läden Rewes landete, konnten die damaligen Ermittlungen laut stern nicht beantworten. Nur so viel sei an dieser Stelle gesagt: Rewe selbst konnte die Lieferkette damals ebenso wenig nachvollziehen, was nicht gerade für den bekannten deutschen Lebensmitteleinzelhändler spricht.[7]
Ein von der Staatsanwaltschaft abgehörtes Telefonat illustriert, wie die beiden Olivenölmultis Valpesana und Salvadori angeblich illegale Mischungen abgesprochen haben. Am 22. Februar 2012 telefonierten die beiden Firmenchefs Francesco Fusi von Azienda Olearia Valpesana und Patrizio Salvadori von Oleificio Salvadori miteinander. Salvadori beschwerte sich bei Fusi über die schlechte Qualität eines Olivenöls. «Du musst mir ein Öl liefern, dass wenigstens annähernd an ein Extra Vergine herankommt. Dieses Öl hier ist mir viel zu risikoreich.” Valpesanas Chef Fusi liess seinen Kollegen Salvadori allerdings abblitzen und erwiderte: “Du weisst ganz genau, was Du für 1.88 Euro kaufst.»[8]
Doch der Abfüller Oleificio Salvadori war längst nicht die einzige Unternehmung, die mit Azienda Olearia Valpesana "schmierige" Geschäfte machte. Auch der Deoleo-Konzern, zu dem bekannte Marken wie Bertolli oder Carapelli gehören, kaufte regelmässig von AOV flüssiges Fett ein. Ein Mischrezept, datiert mit 11.01.2011, zeigte auf, dass 209 Tonnen, plus eine Testlieferung von 30 Tonnen für Deoleos Marke Carapelli, die ihre Abfüllwerke in Tavarnelle in Val di Pesa, unweit von Florenz, hat, vorgesehen war.
2010 soll Carapelli rund 4 Millionen Liter Öl von der Azienda Olearia Valpesana gekauft haben. Qualität? Mutmasslich zweifelhaft bis ungenügend. Gewinn? Unbekannt!
Auch die Azienda Olearia del Chianti, die wichtige Olivenöllieferantin Denners war, bezog zusammengemischtes Olivenöl von der Azienda Olearia Valpesana.
Ein anderes Kapitel schreibt die Oleificio Fiorentini Firenze, die 2016 Lidl Italia mit einem angeblich minderwertigen Olivenöl belieferte, welches Lidl als Extra Vergine verkaufte. Die italienische Antibetrugsbehörde hatte daraufhin Lidl Italia zu einer Busse von rund 550'000 Euro verdonnert. Das Verwaltungsgericht Rom hob die Geldstrafe anfangs 2018 allerdings wieder auf. Man könne Lidl weder Absicht noch Fahrlässigkeit vorwerfen, so das Urteil. Dies, weil Lidl Italia seine Öle etwa von Eurofins Hamburg analysieren liess, bevor diese in den Verkauf gelangten. Aber wir wissen, dass man auch Laboratorien kaufen kann. Wenn ein grosser Händler keine Öle mehr zur Prüfung anstellt, entgehen dem Labor viele Aufträge, was zu Umsatzverlusten führt. Gesponserte Wissenschaft kann nicht funktionieren. Das wissen wir ebenso!
Die Familie, welche Fiorentini Firenze führt, heisst ebenfalls Fusi. Genau wie jene, welche die Azienda Olearia Valpesana führt. Die beiden Familien sind miteinander verwandt. Vor drei Jahrzehnten gehörten beide Unternehmen sogar ein und derselben Familie. Die Firma Castel del Chianti gehört ebenfalls der Fusi-Familie, die heute Oleificio Fiorentini Firenze besitzt, wobei Castel del Chianti die eigentliche Mutterfirma der Oleificio Fiorentini Firenze ist.
Untereinander sind diese Firmen, die wiederholt mit illegalen Aktivitäten in Verbindung gebracht wurden, also miteinander verstrickt wie ein Mafia-Netzwerk.
In einer dreiteiligen Serie von La Repubblica Investigativ nannte der Autor Paolo Berizzi das Netzwerk von Panschern "Die Olivenöl-Mafia".[9] Er meint: «Auf den Etiketten steht "natives Olivenöl extra" und "Made in Italy". In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um freizügige Mischungen von Ölen, die aus Tunesien, Spanien und Griechenland stammen. Öle, die oft fehlerhaft sind, aber vor allem für die Herren dieser "Agrar-Mafia" außerordentlich günstig sind. Doch jetzt steht eine umfangreiche Untersuchung, die die Repubblica aufdecken kann, kurz davor, die gefälschte Lieferkette zu entlarven.»
Jetzt die Reportage durch Aufklappen der folgenden Zeilen lesen:
IL REPORTAGE 1 von PAOLO BERIZZI
So schummeln uns die "Schlauberger der Ölmühle" den Bluff des flüssigen Goldes unter
Es ist ein raffinierter kommerzieller Betrug, in den etwa ein Dutzend Marken – darunter ein paar sehr bekannte – verwickelt sind und der dazu führt, dass "italienisches natives Olivenöl extra" auf unseren Tischen landet, das tatsächlich von weit her kommt. Basierend auf einer bald abgeschlossenen Untersuchung erzählen wir Ihnen, wie dieses illegale Geschäft funktioniert, welche Gewinne es für die Kontrolleure bringt und zu welchen Preisen wir Verbraucher es bezahlen.
Die Herren des Öls haben sich eine zweite Geburt ausgedacht. Sie pressen nicht mehr: Sie transformieren. Auf ihre Weise. Sie transformieren, manipulieren, desodorieren, parfümieren. Vor allem importieren sie. Sie kaufen massenhaft im Ausland und verkaufen es in Italien wieder, und dann wieder ins Ausland. Sie geben sich als große Produzenten des Made in Italy aus, als Spitzenklasse des besten gelben Goldes der Welt. Dabei verkaufen sie uns die Mogelpackung, und wir konsumieren sie. Natives Olivenöl extra? Ja, natürlich: aber spanisch, tunesisch, griechisch, marokkanisch. Ein ununterbrochener Strom von Mischungen aus "gemeinschaftlichen" und "nicht-gemeinschaftlichen" Ölen reist täglich nach Italien, von Süden nach Norden, an Bord von Lastwagen und Tankern, entlang der Routen der Schlauberger der Ölmühle. Es sind Hunderttausende Tonnen von billigen Ölen, die im Mittelmeerraum produziert werden und in unseren Unternehmen neu abgefüllt werden, wo sie eine neue, falsche Identität erhalten. Am Ende ist das Einzige, was garantiert italienisch ist, das Etikett (egal, ob die größten Namen in spanischen Händen sind). In die Taschen der Ölmeister fließen fünf Milliarden Euro im Jahr. Auf unseren Tischen, ein Bluff.
Wer sind die neuen Bosse der gefälschten Oliven? Wie funktioniert ihr Geschäft? Es gibt etwa ein Dutzend Etiketten – darunter ein paar sehr bekannte –, die in dieser zweiten Republik des Öls ein Kartell gebildet haben: ein Block von Unternehmen – Produzenten und Distributoren –, die sich im Namen der Spekulation auf eine raffinierte kommerzielle Täuschung, auf den hinterhältigen Betrug des Verbrauchers, auf eine Arbeitsweise, die zum "System" geworden ist und enorme Gewinne anhäuft, verbündet haben. Sie sind hauptsächlich zwischen Mittel- und Süditalien aktiv. Sie importieren enorme Mengen an Öl aus Spanien, Griechenland und Tunesien. In einigen Fällen kaufen sie es von Unternehmen, mit denen sie verbunden sind: gleiche Gruppe, gleicher Besitzer, eine einzige Familie. Ob sie eines oder hundert kaufen, der Preis ist immer der gleiche. Sie kontrollieren die Preise, sie kontrollieren den Markt. Einst wurden in diesen renommierten italienischen Unternehmen Oliven gepresst: Heute gibt es nur noch Silos. Zisternen, die mit Hilfe von Pumpen Öl aus den Lastwagen saugen, die es aus den Olivenhainen Andalusiens oder den riesigen Anbauflächen Tunesiens hierher transportieren. Und dann? Ein schönes italienisches Etikett und ab geht's: das gefälschte italienische native Olivenöl extra landet in den Regalen der Supermärkte.
Dies wird durch eine noch laufende Untersuchung enthüllt – die die Repubblica vorab veröffentlichen kann –, die von der Zollagentur, den Betrugsdetektiven der Staatlichen Forstpolizei und der Guardia di Finanza in Zusammenarbeit mit Coldiretti durchgeführt wurde. Es handelt sich nicht um die klassische Ermittlungsaktivität, die zur Entdeckung von schlecht konservierten oder abgelaufenen Produkten führt. Es ist eine technischere Erkundung, die mit der Kreuzanalyse europäischer Datenbanken und Steuerprüfungen auf der einen Seite und Kontrollen vor Ort auf der anderen Seite durchgeführt wird. Eine Lupe, die auf die Lieferkette des "maskierten" Öls gelegt wird. Sie ermöglicht es, viele Dinge zu verstehen: zum Beispiel, warum vier von fünf Flaschen nativem Olivenöl extra offiziell italienische Flagge zeigen, aber ausländische Produkte enthalten (hauptsächlich aus Spanien und Griechenland). Produkte, die zudem hinter nahezu unleserlichen Etiketten versteckt sind. Oder warum vier von zehn Kilo Öl im Supermarkt nach Schimmel riechen (Studie von Unaprol, Coldiretti und Symbola). Und noch: Warum wir bei 250.000 Tonnen exportiertem Öl 470.000 Tonnen importieren (im Jahr 2010 waren es 100.000 mehr). Wohin gehen sie? Wie werden sie gemischt? Zu welchem Preis verkaufen sie sie wieder?
IL REPORTAGE 2 von PAOLO BERIZZI
IL REPORTAGE 3 von PAOLO BERIZZI
Das Akronym AOV ist im Olivenölsektor zu einem Synonym für Betrug geworden. Und das obschon Francesco Fusi in der Verhandlung vom 22. September 2020 vom Berufungsgericht Florenz, in teilweiser Abänderung des Urteils erster Instanz, vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung und von zahlreichen Fällen des Betrugs im Handel freigesprochen, da die Tatbestände - angeblich (Anm. Redaktion) - nicht vorliegen. Zudem hat es die Verjährung für drei weitere Anklagepunkte erklärt, die sich auf Betrug im Handel und den Verkauf von nicht echten Lebensmitteln als echte, erschwert durch besondere Umstände, beziehen.
Angesichts dieser Fallwende darf man sich fragen: Wie rechtsschaffen sind Gerichte? Kann man sie kaufen? Kann man sie erpressen? Ich habe keine Antworten auf all diese Fragen. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Immerhin ist Italien das Land der Mafia. Der Camorra. Der Ndrangheta und der Cosa Nostra.
Die New Yorker Mafia durchtränkt das amerikanische Land mit Olivenöl
Das bringt mich zu Giuseppe "Joseph" Profaci (2. Oktober 1897 – 6. Juni 1962), der ein einflussreicher italo-amerikanischer Gangster und Gründer der heute als Colombo-Familie bekannten La-Costa-Nostra-Mafiaorganisation, eine der "Fünf Familien", die das organisierte Verbrechen in New York City dominieren, war. Geboren in Villabate, Sizilien, wanderte Profaci 1921 in die Vereinigten Staaten aus und stieg schnell in den Rängen der Mafia auf. Er gründete eine mächtige kriminelle Organisation, die in verschiedenen illegalen Aktivitäten tätig war, darunter Erpressung, Wucherei und Drogenhandel. Seine Rücksichtslosigkeit und gnadenlose Brutalität (die Besonderheit seines Führungsstils war die Existenz einer Schwarzen Kasse, in die jedes Mitglied 25 US-Dollar pro Monat einzahlen musste und aus der dann entsprechende Unterstützungszahlungen an die Familienangehörigen inhaftierter Gangster geleistet wurden. Wer diesen Mitgliedsbeitrag verweigerte, wurde in der Regel umgebracht.) - verbarg "Joe" Profaci hinter der Fassade eines legalen Olivenölimporteurs und -händlers. Der Olivenölhandel brachte ihm den Übernahmen "Don Peppino" (it. für Olivenölkönig) ein.[10] Er war zu dieser Zeit einer der grössten Importeure des Landes. Er besass die Sunshine Edible Oil Company, die Mamma Mia Olive Oil Company und die Santuzza Oil Co.. Daneben hatte er bedeutende Anteile an anderen Firmen wie den weltberühmten Filippo Berio (die am zweithäufigsten verkaufte Olivenölmarke in der Schweiz und unter Vertrag bei Coop) und Fratelli Berio. Der Mafioso und Geschäftsmann Profaci war Vorlage für das filmische Meisterwerk "Der Pate", in welchem Marlon Brando "Don Corleone" spielt.
Profacis Sohn, John J. Profaci, der in das - angeblich legale - Olivenölbusiness seines Vaters "Joe" einstieg, gründete im Jahr 1980, zusammen mit dem aus Molise stammenden Enrico Colavita, den er 1978 kennengelernt hatte, die Colavita USA. Sich selber nannte John J. Profaci "senior statesman of the extra-virgin olive oil industry".[11] Dies weil er in den USA das native Olivenöl extra angeblich salonfähig machte. Profaci soll zeitweise jährlich bis zu 300'000 Tonnen Olivenöl gehandelt haben haben. Das entspricht 327'510'917 Liter pro Jahr; eine einzige Jahreshandelsmenge Profacis würde der Schweiz mit heutigem Einwohnerstand und Konsum rund 20 Jahre reichen. Man stelle sich das vor.
Und man stelle sich auch vor, dass das kleine Molise, das nicht als grosse Ölproduzenten-Region Italiens gilt, diese Menge natürlich nie liefern konnte. Colavita verkaufte und verkauft deshalb mehrheitlich "Mischungen" aus verschiedenen Ländern. Sie dürfen selber entscheiden, ob Sie sich an den AOV-Skandal zurückerinnern wollen.....
Die Colavita USA war durch und durch ein italo-amerikanisches Familienunternehmen nach dem Vorbild der Ahnen Profacis. Die Profacis gaben an, den Amerikanern die Olivenölkultur näherbringen zu wollen, sie darüber aufzuklären, was gutes und was schlechtes Olivenöl sei.
Die New Jersey Monthly gab im Jahr 2012 an, dass alle vier Söhne von John J. Profaci für das Familienunternehmen arbeiteten. John Jr., der in Maplewood lebte, war für das Marketing von Colavita USA verantwortlich. Er hatte bis dahin angeblich noch nie woanders gearbeitet. Seine Brüder hatten ebenso Schlüsselpositionen inne – Joseph aus Madison war Chefjurist; Anthony aus Chatham war Vizepräsident für Vertrieb und Qualitätskontrolle; und Robert aus Glen Rock war COO und Vizepräsident für Einkauf. Auf der Colavita-Seite gab es Enrico, der in Rom lebte; seinen Neffen Giovanni, der 2008 von Italien nach New York gezogen ist und dann CEO von Colavita USA wurde; und Andre, Giovannis Cousin, der CEO von Colavita Italien war.
«Es ist wirklich ein Familienunternehmen», sagte John J. Profaci vor vierzehn Jahren. «War es schon immer.» In den 1970er Jahren stellten Enrico Colavita und seine Familie in Sant'Elia a Pianisi, nicht weit von der Adriaküste Italiens, Olivenöl auf die gleiche Weise her, wie es Enricos Vater getan hatte – mit handbetriebenen Pressen. Aber Colavita sah eine bessere Zukunft, wenn er sein Öl in die florierenden italienisch-amerikanischen Gemeinschaften in und um New York exportieren könnte. Also machte Colavita 1978 mit seiner Braut Flitterwochen in New York. Dort besuchte er einen Verwandten in Coney Island. Wie Profaci erzählte, fragte Colavita den Verwandten: «Kennen Sie jemanden, der etwas über Olivenöl weiss?»
Tatsächlich kannte der Verwandte jemanden – nämlich Profaci, der im nahegelegenen Bensonhurst, Brooklyn, lebte. Profaci arbeitete damals in einem kleinen Lagerhaus in Newark als Makler für zwei grosse Lebensmittelunternehmen und verkaufte an italienische Restaurants Pizzakäse und Tomatenprodukte.
Im selben Jahr machte Colavita Profaci zu seinem Importeur. Ihr einziger Vertrag war ein Handschlag. So ist das in dieser Branche!
Das Grosskind eines berüchtigten Mafia-Bosses wird im Jahr 2017 Direktor des Nordamerikanischen Olivenölverbands
Joseph R. Profaci, ein Grosskind des brutalen Mafia-Bosses und Olivenölkönigs Giuseppe "Joseph" Profaci, war bis 2017 General Counsel von Colavita USA. Von diesem Amt trat er zurück, als er von der North American Olive Oil Association zum Direktor ernannt wurde. Das Branchenblatt Olive Oil Times schrieb zu Profacis Ernennung: «Profacis Familiengeschichte im Olivenölgeschäft reicht bis in eine andere Zeit zurück: Sein Grossvater, Joseph Profaci, war der Gründer einer der fünf New Yorker Verbrecherfamilien, bekannt als die Colombos, und die Inspiration für Marlon Brandos Charakter in "Der Pate". Joseph Profaci war einst der berüchtigtste Schläger des Landes, bekannt als der "Olive Oil King" und "Don Peppino".[12]
Zwei Ansichten dürfte es zu dieser Profaci-Legalisierung geben:
Wie kann das Grosskind eines Serienmörders Direktor des Nordamerikanischen Interessenverbandes für Olivenöl werden?
Warum sollte das Grosskind eines Serienmörders, auf dessen Leben das Grosskind keinen Einfluss hatte, nicht Direktor des Nordamerikanischen Olivenölverbandes werden?
Joseph R. Profaci soll ein ehrbarer Mann sein. Er hat in Harvard und an der New York University studiert, ist Anwalt und hat sich seinen Familienstammbaum kaum aufgrund der kriminellen Aktivitäten seines Grossvaters ausgesucht. Zudem, so scheint es, vertritt die North American Olive Oil Association - zumindest vordergründig - gute Ansichten, die dem Olivenöl helfen, von den amerikanischen Konsumenten verstanden zu werden.
Trotzdem ist und bleibt die Geschichte sonderbar. Die Familie hat sich dazu auch schon mehrfach öffentlich erklärt. Etwa im Jahr 2010, als Joseph R. Profacis Bruder, John Profaci Jr., der New York Post von der Entwicklung der Familie hin zu "legitimen" Geschäften erzählte: «Unsere Familie hat seit diesen Tagen einen weiten Weg zurückgelegt. Wir alle sind auf gute Colleges gegangen und haben eine gute Ausbildung erhalten. Wir sind heute Geschäftsleute... Das ist so weit von unserer Vergangenheit entfernt.»
Joseph R. Profaci, der Direktor der North American Olive Oil Association sagte 2017 gegenüber der Olive Oil Times: «Mein Grossvater starb 1962, als ich zwei Jahre alt war. Sechzehn Jahre später, 1978, arbeitete mein Vater, John J. Profaci, als Lebensmittelmakler, als er das Glück hatte, Enrico Colavita kennenzulernen, der auf seiner Hochzeitsreise in New York war. Plötzlich war mein Vater im Olivenölgeschäft, und auch er sah sich mit denselben Fragen und nicht wenigen unverdienten Kommentaren über die Vergangenheit der Familie konfrontiert.»
Die Profacis von heute beteuern, dass sie mit den Profacis von früher nichts zu tun haben. Dennoch muss die Frage gestellt werden, wer und was den Profacis diese Wandlung ermöglich hat? Woher kamen das Geld und die Möglichkeiten? Warum waren und sind sie immer noch so einflussreich? Zudem gilt in Mafiakreisen - so sagt man es - der Kodex, dass niemand lebend aussteigen kann.
Legale Mafia vs illegale Mafia?
Ob Fusi oder Profaci. Ob Italien oder USA. Ob früher oder heute. Ein eng verflochtenes Netzwerk kontrolliert in aller Sichtbarkeit grosse Teile des "legalen" Olivenölmarktes, während als kriminelle Banden bezeichnete kleine Gruppen von Fälschern im Verdeckten billige Samenöle mit Chlorophyll und Beta-Carotin mischen und das fertige Endprodukt als Olivenöl Extra Vergine made in Italy über nicht rückverfolgbare Kanäle in den Gastronomie-Sektor einschleusen lassen. Klar scheint, die beiden Branchen scheinen sich nicht in die Quere zu kommen.
Für uns Konsumenten kann nach dem Studium dieses Artikels nur eine einzige die logische Konsequenz sein: Wir kaufen keinerlei Olivenöle von Grossabfüllern mehr und wir wollen bei Restaurantbesuchen zukünftig haargenau wissen, woher das Olivenöl stammt, das uns in den Salat gekippt wurde. Tun wir das nicht, sind wir willkommene Opfer der Mafia. Dieser oder jener.
Quellen [1] Nuovo sequestro di 71 tonnellate di falso olio di oliva a Foggia, Teatro Naturale, 11.07.2024; zu finden unter: https://www.teatronaturale.it/tracce/italia/42716-nuovo-sequestro-di-71-tonnellate-di-falso-olio-di-oliva-a-foggia.htm
[2] 11 olive oil counterfeiters arrested following Operation OPSON, EUROPOL, 04.12.2023; zu finden unter: https://www.europol.europa.eu/media-press/newsroom/news/11-olive-oil-counterfeiters-arrested-following-operation-opson
[3] Waren Sie neulich in Rom? Dann haben Sie vielleicht in einem Restaurant gefälschtes Olivenöl konsumiert...., evoo.expert, 05.01.2024; zu finden unter: https://www.evoo.expert/post/waren-sie-neulich-in-rom-dann-haben-sie-vielleicht-in-einem-restaurant-gef%C3%A4lschtes-oliven%C3%B6l-konsumi
[4] Ein Narr ist, wer die Quelle seines Olivenöls nicht kennt., evoo.expert, 11.07.2024; zu finden unter: https://www.evoo.expert/post/ein-narr-ist-wer-die-quelle-seines-oliven%C3%B6ls-nicht-kennt
[5] Vergiftet mit gepanschtem Rapsöl: Chronik zu Spaniens größtem Lebensmittelskandal, Costa Nachrichten, 10.01.2022; zu finden unter: https://www.costanachrichten.com/spanien/land-leute/spaniens-rapsoel-skandal-1981-lebensmittelskandal-tote-betroffene-anilin-opfer-prozess-gericht-entschaedigung-91226889.html
[6] 2020 Annual Report The EU Agri-Food Fraud Network and the Administrative Assistance and Cooperation System, European Commission; zu finden unter: https://food.ec.europa.eu/document/download/5135ace4-2a9d-4bf7-afad-574621b43b1c_en?filename=ff_ffn_annual-report_2020_1.pdf
[7] Wie weiter mit Bertolli & Co.? Das grosse Interview mit Pierluigi Tosato, CEO und Chairman von Deoleo, Master of Olive Oil; zu finden unter: https://www.oliveoilmaster.ch/pierluigi-tosato/
[8] Olivenöl-Kartell; zu finden unter https://www.olivenoel-kartell.de/index.html
[9] BERIZZI Paolo, La mafia dell'olio; la Repubblica le inchieste; zu finden unter: https://inchieste.repubblica.it/it/repubblica/rep-it/inchiesta-italiana/2011/12/20/news/signori_dell_oliouno_signori_dell_oliodue-26956128/index.html
[10] Joseph Profaci, Wikipedia; zu finden unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Profaci
[11] Oil Baron: Jersey made extra virgin olive oil; New Jersey Monthly; zu finden unter https://njmonthly.com/articles/jersey-living/oil-baron/
[12] Olive Oil Importers Name New Director, Olive Oil Times, 17.10.2017; zu finden unter: https://www.oliveoiltimes.com/business/north-america/olive-oil-importers-name-new-director/59006
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