top of page

Belgien: Über ein Fünftel der geprüften "Extra Vergine" Olivenöle aus dem Einzelhandel sind in Wahrheit Lampant-Öle

Nur in einer von drei Flaschen ist tatsächlich natives Olivenöl extra drin. Extra Vergine nennen sich trotzdem alle (Bild: AdobeStock)
Nur in einer von drei Flaschen ist tatsächlich natives Olivenöl extra drin. Extra Vergine nennen sich trotzdem alle (Bild: AdobeStock)


In Belgien sind gemäss jüngstem Test fast zwei Drittel der Supermarktöle kein Extra Vergine – und damit wertlos für den Konsumenten, der genau das zu kaufen glaubt. Dieses Ergebnis reiht sich ein in ein wiederkehrendes Muster internationaler – auch amtlicher – Untersuchungen, die seit Jahren zeigen, dass Etikett und Inhalt im Olivenölregal von Supermärkten und Discountern oft wenig miteinander zu tun haben. Die Erkenntnis daraus ist: Konzentrieren wir auf das, was wirklich zählt: Wahrhaftig gute Olivenöle.



Die belgische Tageszeitung Het Nieuwsblad[1] hat das niederländische Olijfolie Instituut[2] beauftragt, 32 Olivenöle, die bei grossen Supermarktketten in Belgien eingekauft wurden, auf ihre sensorische Charakteristik zu prüfen. Unter den gezogenen Mustern befanden sich Vertreter vom Preiseinstiegs- bis hin zum Premiumsegment, um so einen guten Querschnitt des Angebots abbilden zu können.


Da das Olijfolie Instituut sowohl vom International Olive Council (IOC) als auch vom niederländischen Landwirtschaftsministerium als Verkostungspanel für Olivenöl anerkannt ist, haben selbst Resultate, die ausserhalb behördlicher Aktivitäten erarbeitet werden, ein gewisses Gewicht – insbesondere dann, wenn sie medial verkündet werden. Insofern kann man das Panel, was seine Autorität angeht, durchaus mit dem Schweizer Olivenöl Panel[3] gleichsetzen.


Den Test mit einigem Vorlauf quasi initiiert hat der belgische Olivenölexperte Guy Hendrickx, der für dieselbe Zeitung bereits im November 2024 Olivenöle aus dem Supermarkt verkostete[4] und dabei feststellte, dass 77 % der Öle, die Qualitäts-Anforderungen für "Extra Vergine" nicht erfüllten. Nach Abschluss seiner Untersuchung schlug er der zuständigen Redakteurin vor, einen umfassenden Test mit anerkanntem Panel durchzuführen, um dem Resultat mehr Ausdruck verleihen zu können. Da es ein solches in Belgien nicht gibt, verwies er auf Wilma van Grinsven-Padberg, die das einzige in den Niederlanden anerkannte Olivenöl-Panel leitet, in welchem auch Guy Hendrickx als Verkoster tätig ist.

DER GROSSE TEST. Olivenöl-Sommelier Guy Hendrickx testet 26 native Olivenöle extra: «Die Qualität ist enttäuschend.» (Bild: Screenshot Het Nieuwsblad)
DER GROSSE TEST. Olivenöl-Sommelier Guy Hendrickx testet 26 native Olivenöle extra: «Die Qualität ist enttäuschend.» (Bild: Screenshot Het Nieuwsblad)

Die Ergebnisse des aktuellen Tests bestätigen Guy Hendrickx' Einzelverkostung vom vergangenen November. Mit der Qualitätsauslobung "Extra Vergine" wird im belgischen Markt leider allzu leichtfertig umgegangen.


Treffend schrieb die Zeitung Het Nieuwsblad deshalb: «Es ist eine seit Jahren schwelende Diskussion: Steckt in den Flaschen mit dem Etikett "extra vergine" tatsächlich extra vergine Olivenöl? Olivenöl zählt zu den betrugsanfälligsten Produkten in der Lebensmittelindustrie, bestätigt auch Europol


Das niederländische Olijfolie Instituut ermittelte folgende Resultate:

  • 12 der geprüften Öle erfüllten die Kriterien für natives Olivenöl extra (Extra Vergine);

  • 12 Öle wurden hingegen in die Kategorie Vergine eingestuft;

  • 6 Öle wurden vom prüfenden Panel als Ordinary betrachtet – eine Handelsklasse, die in den aktuellen Regularien des International Olive Council zwar noch geführt wird[5], es seit 2001 im EU-Recht allerdings nicht mehr gibt und heute aus rechtlicher Sicht in der EU deshalb automatisch als Lampante gilt[6];

  • 1 Öl schitt als Lampante ab;

  • 1 Öl wurde als derart seltsam empfunden, dass es im Labor der Universität von Gent chemisch nachanalysiert wurde, wobei sich herausstellte, dass es sich um altes Sonnenblumenöl handelte.


Damit sind 20 von 32 Ölen (62 %) kein Extra Vergine – wovon 7 Proben (22 %) nach der Verkostung als Lampantöle gelten, die gar nicht erst für den Verzehr bestimmt wären.


Gegenüber der federführenden Tageszeitung meinten Wilma van Grinsven-Padberg und Arnold Koomans vom Olijfolie Instituut: «Die Tür für Betrug steht weit offen. [..] Es gibt nur wenige Kontrollen, weil minderwertiges Olivenöl keine direkte Auswirkung auf die Volksgesundheit hat. Deshalb ist es für Europa keine Priorität. Die Niederlande müssen pro Jahr nur 26 Flaschen kontrollieren, Belgien sogar nur 22. Die Chance, erwischt zu werden, ist klein.»


Das wissen auch die Inverkehrbringer. Und wenn sie doch einmal ein Negativ-Resultat erreicht, haben sie ein Spezial-Rezept, das sie aus der Schublade zücken. Sie berufen sich dann nämlich auf ein Attest – ausgestellt von einem anderen IOC-anerkannten Panel –, das dem fraglichen Öl die Qualitätskonformität bescheinigt. Und gegessen ist die Sache. Dass man, wie in der relevanten EU-Verordnung verlangt, nach einem behördlichen Ersturteil einen Vergleichstest mit zwei weiteren unabhängigen Panels macht, wovon eines im Land des Abfüllers sein sollte, passiert äusserst selten und wenn doch, ist die Chance aus Sicht des Inverkehrbringers gross, dass eines der beiden Vergleichspanels das fragliche Öl als "Extra Vergine" durchwinkt.


So berufen sich die Unternehmen, deren Öle im aktuellen Test die Anforderungen an "Extra Vergine" nicht erfüllen konnten, auf Vergleichstest, die sie bei IOC-anerkannten Panels in Auftrag gegeben haben und deren Resultate dem Öl eine "weisse Weste" bescheinigen.



Mehr zu Wilma van Grinsven-Padberg


ree

Wilma van Grinsven-Padberg ist Panelleiterin des International Olive Council (IOC) beim Niederländischen Olivenöl-Institut. Sie gilt als eine der führenden Expertinnen für sensorische Bewertung von nativem Olivenöl extra in den Niederlanden. Als Autorin des Buches OLIJFOLIE teilt sie ihr umfassendes Wissen über Herkunft, Qualität und Verkostung von Olivenöl mit einem breiten Publikum.




Der juristische Weg, ein qualitativ minderwertiges Olivenöl aus dem Verkehr ziehen zu können, ist kein leichter. Das ist umso ärgerlicher, weil die Behörden in der Regel genau wissen, dass in den Olivenöl-Flaschen längst nicht immer das steckt, was laut Etikett drin sein müsste. Das zeigt auch die von Wilma van Grinsven-Padberg angesprochene behördliche Olivenölkontrolle in Belgien: Von 69 Proben, die in dem Land in den vergangenen drei Jahren untersucht wurden, waren ganze 26 – also 38 %nicht gesetzeskonform. Im Zeitungsartikel von Het Nieuwsblad steht dazu wortwörtlich: «Die Qualität entsprach nicht den Anforderungen, um "vergine" oder "extra vergine" zu sein.»


Nach strenger Leseart bedeutete das, dass 38 % der Proben schlechter als Vergine und damit Lampante waren. Eher wahrscheinlich ist allerdings, dass die Qualität des in Flaschen abgefüllten und geprüften Öls nicht den Anforderungen für "Extra Vergine" und in einigen Fällen nicht mal jener für "Vergine" entsprach. An der Negativ-Quote an und für sich ändert das nichts – sie bleibt hoch!


Die jetzt vom Olijfolie Instituut und von Guy Hendrickx im November 2024 ermittelten Resultate passen zum Ergebnis des bislang grössten Olivenöltests in Europa, welchen die International Olive Foundation im Jahr 2019 durchgeführt hat. 79 % der geprüften Olivenöle waren damals nicht "Extra Vergine", obschon sie als solche gekennzeichnet waren.[7]



Mehr zu Guy Hendrickx


ree

Guy Hendrickx ist Olivenöl-Sommelier, anerkannter Verkoster, Importeur und leidenschaftlicher Kenner von italienischem nativem Olivenöl extra. Er betreibt das Unternehmen Frantoiani mit Sitz in Mechelen (Belgien), wo er sorgfältig ausgewählte Olivenöle von kleinen italienischen Produzenten anbietet.




Vor diesem Hintergrund fragt man sich natürlich, wie es sein kann, dass das Schweizer Olivenöl Panel bei der Prüfung von 13 der meistverkauften Supermarktöle der Schweiz jüngst auf eine Extra-Vergine-Quote von 92 %[8] gekommen ist?



Wilma Grinsven-Padberg vom Olijfolie-Instituut
Wilma Grinsven-Padberg vom Olijfolie-Instituut

Wilma van Grinsven-Padberg meint dazu, dass nicht jedes Prüfgremium gleich streng sei, ihr Panel aber dafür bekannt sei, besonders akkurat zu prüfen. Dasselbe meint auch Guy Hendrickx. Nach ihm haben nicht alle Panels denselben Ausbildungs- und Kenntnisstand.


Het Nieuwsblad hat deshalb beim International Olive Council in Madrid nachgefragt. Die interstaatliche Behörde sagte: «Wenn ein von uns anerkanntes Gremium ein Olivenöl als nativ extra einstuft, dann war dies auch zum Zeitpunkt der Analyse der Fall.» Und weiter: «Olivenöl ist kein stabiles Produkt. Es verändert sich mit der Zeit und hängt auch davon ab, wie es gelagert wird. Es ist durchaus möglich, dass ein Olivenöl zwar nativ extra ist, aber Monate später, nach Einwirkung von Licht oder Hitze, in eine niedrigere Kategorie eingestuft wird, weil seine organoleptischen Eigenschaften durch die unsachgemässe Lagerung beeinträchtigt wurden.»


Wilma van Grinsven-Padberg bestätigt zwar, dass unsachgemässer Transport und Lagerung mit Blick auf die organoleptische Qualität eines Olivenöls eine Rolle spielen, weist aber zugleich die Annahme zurück, dass bei negativen Testergebnissen immer die Logistik Schuld sein soll. Sie sagte gegenüber Het Nieuwsblad: «Man kann nicht alles einfach auf unsachgemässe Lagerung schieben. Wir fanden schon Abweichungen, die darauf hindeuten, dass bereits qualitativ unzureichendes Olivenöl abgefüllt wurde.»


Guy Hendrickx überraschen weder die Reaktionen der Handelsunternehmen noch die Tatsache, dass das vom Olijfolie Instituut ermittelte Resultat erneut derart vernichtend ausfällt. Er sagt: «Das ist in der Branche bekannt. Es besteht ein immenser Unterschied zwischen den Olivenölen aus dem Grosshandel und jenen Produkten, die in spezialisierten Fachgeschäften angeboten werden.»


Das Gute liegt so nah

«Was können wir machen, um die Situation zu verbessern?», fragt mich Wilma van Grinsven-Padberg im Videochat vom 15. September 2025. Es ist eine Frage, die ich mir selber jeden Tag stelle. Und ich muss gestehen, ich habe bis jetzt keine Antwort gefunden, die mich befriedigen würde. Ich antworte ihr, dass wir nicht aufhören dürfen, über das gute Öl, also das echte Extra Vergine zu reden und gleichwohl solange darauf hinweisen müssen, dass es da draussen viele Produkte gibt, die nicht halten, was ihr Etikett verspricht, bis sich der Markt bessert.


Diese Antwort hat wenig Magie und sie dürfte auch für Wilma van Grinsven-Padberg ernüchternd gewesen sein. Gewiss gibt es viele Menschen, die aufgrund von kritischer Berichterstattung den Weg zum guten Öl gefunden haben und dafür sehr dankbar sind. Andererseits gibt es ein Meer an Menschen, die wir mit unseren Rufen wohl niemals werden erreichen können. Sind wir also nicht jenen verpflichtet, die wir für unsere gute Idee längst begeistern konnten? Vor nicht allzu langer Zeit sagte mir ein äusserst treuer Privatkunde, dass die Negativschlagzeilen rund um Olivenöl, die ihn in hoher Regelmässigkeit erreichen, nerven! Er würde sich über schöne Neuigkeiten freuen. Über Produktpräsentationen und Geschichten aus dem Olivenhain. Diese Worte wirken in mir bis heute nach und ich muss anerkennen, dass dieser gute Mann Recht hat.


Aussergewöhnliche Olivenöle findet man im Supermarkt selten. Man findet sie dafür in grosser Anzahl bei leidenschaftlichen und fachlich top ausgebildeten Händlern. Das Gute liegt so nah, dass man es manchmal selber nicht erkennen kann.


Quellen

[1] SNICK Chris, Wij lieten 32 ‘extra vierge’ flessen uit de supermarkt testen, en het resultaat is onthutsend: “In één zat zelfs helemaal geen olijfolie”, Het Nieuwsblad; zu finden unter: https://www.nieuwsblad.be/lifestyle/eten-en-drinken/wij-lieten-32-extra-vierge-flessen-uit-de-supermarkt-testen-en-het-resultaat-is-onthutsend-in-een-zat-zelfs-helemaal-geen-olijfolie/88149519.html

[2] Olijfolie Instituut; zu finden unter: https://www.olijfolieinstituut.nl/

[4] VAN HORNE Kizzy, DE GROTE TEST. Olijfoliesommelier Guy Hendrickx test 26 extra vierge olijfolies: “De kwaliteit is teleurstellend”, Het Nieuwsblad; zu finden unter: https://www.nieuwsblad.be/economie/de-grote-test.-olijfoliesommelier-guy-hendrickx-test-26-extra-vierge-olijfolies-de-kwaliteit-is-teleurstellend/27519151.html

[5] IOC Standards, Methodes and Guides, COI/T.15/NC No 3/Rev. 21 July 2025, Page 2, International Olive Council; zu finden unter: https://www.internationaloliveoil.org/wp-content/uploads/2025/07/TRADE-STANDARD-REV-21_EN.pdf

[6] Delegierte Verordnung (EU) 2022/2104 der Kommission vom 29. Juli 2022, zuletzt geändert am 7. März 2024 durch die Delegierte Verordnung (EU) 2024/1401 der Kommission, Anhang 1, Merkmale von Olivenölen; zu finden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32022R2104

[7] EXTRA? VERGINE! Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019; International Olive Foundation; zu finden unter: https://a969041f-e046-4920-b154-93b407faf7e1.filesusr.com/ugd/554c07_f090742083aa4238a85fd44bc85c8ca9.pdf?index=true

[8] Extra Vergine – oder nicht? Das ist die Frage!, SRF Schweizer Radio und Fernsehen, vom 02.09.2025; zu finden unter: https://www.srf.ch/sendungen/kassensturz-espresso/tests/olivenoel-im-test-extra-vergine-oder-nicht-das-ist-die-frage

bottom of page